Und immer wieder Liebe Roman
Eingeständnis der Erleichterung nicht hinauskommt. »Belle-Île ist die ideale Insel für dich, Emma, ein makelloses Paradies. Es widersteht den Verführungen des Fortschritts und ist nicht einmal flächendeckend durch Mobilfunknetze erschlossen. Hier sind wir ›nicht erreichbare Teilnehmer‹. Zufrieden?«
Ich kann nicht geistreich sein, es ist, als wäre ein ganzes Heer von Worten dem Erdboden gleichgemacht. Ihn neben mir zu sehen, zerstört das Vertrauen, das unsere Briefe bestimmt hat.
»Ich fühle mich wie die Hauptfigur in einer Liebesschmonzette.«
»Von so etwas lebst du doch.«
»Sag nicht solche Dinge. Ich bin ziemlich empfindlich, hast du das vergessen?«
Der Jeep steigt einen Saumpfad empor, der sich die Küste entlangzieht und plötzlich vor der blauen Schranke des Horizonts endet. Die Felsen mit ihren grünlichen Adern fallen steil hinab; von oben sieht man die Felswände, und wie hoch man ist, hört man schon am Geräusch der Brandung. Das Meer ist eine aufgewühlte Prärie mit schäumenden Wellenkämmen. Ohne Vorwarnung bremst Federico.
Wir steigen aus.
»Komm«, sagt er und hält mir mit einer Verbeugung die Tür
auf. Er reicht mir seinen Arm und betrachtet dann kopfschüttelnd meine Schuhe: »Hier braucht man bequemeres Schuhwerk.«
»Ich trage immer solche«, erwidere ich trotzig und hieve meinen rechten Fuß mitsamt dem Stiletto aus dem Wagen (zugegebenermaßen eignet er sich für die Buchhandlung besser, stelle ich dabei fest, aber das kann ich keinesfalls zugeben). »Außerdem bin ich zu klein. Ich kann nicht ohne Absätze herumlaufen oder Blues tanzen.«
»Du bist nicht klein, Emma, du bist winzig. Das hast du selbst immer gesagt.«
»Ist das wahr? Denk nur, Marguerite Duras hat stets ähnliche Kleider getragen, damit nicht auffiel, wie klein sie ist.«
Er nimmt meine Hand und wirft einen Stein in Richtung des weißen Schaums auf den Wellen. Die Flugbahn wird von ein paar Ginsterzweigen gestört, dann rollt der Stein weiter zum Wasser hinab, zerspringt in tausend Teile und verschwindet.
»Wir sind in Port Coton. Irgendwo hier an dieser Stelle saß Claude Monet, klappte seinen Farbkasten auf und stellte die Leinwand auf die Staffelei. Und dachte nicht mehr an seine Probleme.«
»Was hatte Claude Monet denn für Probleme?«
Er seufzt. »Oh, Emma, das habe ich doch nur so gesagt. Wir haben alle unsere Probleme, mal mehr, mal weniger. Im Herbst 1886 hat Monet ein paar Wochen hier auf der Belle-Île verbracht, in einem Haus in Kervilahouen. Es hat immer geregnet, der Himmel war düster und das Meer wild. Vermutlich war Monet ganz schön sauer. Wenn man im Winter alleine hier ist, muss es ganz schön trist sein. Tatsächlich betrinken sich die Leute gerne und oft, und sollte der Alkohol nicht reichen... na ja, die Selbstmordrate hier ist ziemlich hoch.«
»Und wie machen sie es? Stürzen sie sich ins Meer?«
»Der arme Monet hat seine Tage damit zugebracht, an der wilden Küste herumzuirren. Begleitet wurde er von einem gewissen Hippolyte Guillaume, genannt Poly. An diesem Ort hier hat er neununddreißig Bilder gemalt. Fünfunddreißig zeigen die Felsen, als hätte er die Staffelei nur viermal in Richtung des Landesinneren gedreht. Über seine Bilder ergießt sich das Meer, nichts als das Meer in seinen vielen Gestalten.«
»Iris Murdoch schafft es, in einem einzigen Roman das Meer in Dutzenden von Stimmungen zu erfassen. Und sich nie zu wiederholen«, sage ich und drücke die Hand meines gebildeten Reiseleiters.
»Joseph Conrad nicht?«
»Liebling, ich habe Die Schattenlinie seit der Mittelstufe nicht mehr gelesen. Er mag ja ein großer Schriftsteller sein – aber allzu viele Abenteuer hinterlassen am Ende doch einen schalen Nachgeschmack.«
Wir steigen wieder in das Spielzeugauto. Um uns herum Rapsfelder. Sie glänzen im Regen, der jetzt fein aus einem geteilten Himmel herabregnet: Rechts ist der Horizont dunkelgrau, links milchig blau. Wir sind allein zwischen niedrigen Steinhäusern mit Schieferdächern und jeweils zwei symmetrisch angeordneten Schornsteinen. An einem Miniaturstrand hält Federico wieder an. Das Wasser sammelt sich in Pfützen und changiert in den Sandkuhlen zwischen gelb und nussbraun. Von unten betrachtet sind die Felsen harmlose, unförmige Zyklopen.
»Wenn du nicht müde bist, zeige ich dir noch etwas.«
»Ich und müde? Wovon sollte ich denn müde sein? Ich habe doch bloß ein Taxi genommen, bin ins Flugzeug gestiegen, dann in die Metro, dann in
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