Und immer wieder Liebe Roman
weiß bestäubten Koffern, Füßen, Händen, Haaren, drängt sich am Check-in, bittet um Informationen und um einen Hoffnungsschimmer. In meinem früheren Leben bin ich in Goose Bay, Kanada, gelandet, in Lappland, in Samara, Russland, in Kushiro, einer Stadt in Hokkaido, wo man mir auf einem Biotechnologen-Kongress ein Vermögen bezahlt hat. Die Flugzeuge kurvten fröhlich über rutschige Pisten, und die Passagiere waren absolut stoisch. Hier in Mailand ist eher das Gegenteil der Fall. Vier oder viertausend Flöckchen genügen, und das Fahrwerk verklemmt sich. Die Wattebäusche lassen die Flügel der wehrlosen Rieseninsekten erschlaffen. Im Wartebereich ertönt Volksmusik. Es würde mich brennend interessieren, wer diese Titel für Flughäfen und Aufzüge auswählt.
Seit zwanzig Tagen ist Frühling, und in meinem Herzen brennt stur die Hoffnung. Die stumme Mimik der Meteorologen verkündet von den Bildschirmen die Möglichkeit einer »leichten Wetterbesserung« bereits ab morgen. Ich erwarte sie dringend. Die Dame am Check-in schüttelt den Kopf: »Die Flüge nach Paris sind alle gestrichen, Signora. Das hier ist eine Extremsituation«, fügt sie hinzu, als hätte sie es mit einer Minderbemittelten zu tun. Eisige Kälte hat sich des europäischen Kontinents bemächtigt. In Moskau erreichen die Temperaturen minus 31 Grad,
die skandinavischen Länder bleiben von der Kälte aus sibirischen Breiten nicht verschont, mit Werten von minus 23/24 Grad für Helsinki. Ein strammes Bataillon von »Minus-irgendetwas-Graden« erreicht Warschau, Berlin und Hamburg. Von Paris ist nicht die Rede, und Federico wartet an der Mole von Belle-Île. Das unter einer weißen Decke wunderschön sein muss. Ich mache es mir bequem – falls man das so nennen kann – in dem Stuhl mit den harten Armlehnen, den die Fluggesellschaft uns zur Verfügung gestellt hat, und warte, als wäre nichts geschehen und als müsste auch gar nichts geschehen. Die Startbahn mit ihrer Eishaube sieht schön aus von hier. Dort stehen sie, die Flugzeuge. Ihre Motoren schweigen. Ich könnte beten, aber ich erinnere mich nicht mehr an die Worte, die mich Maria abends vor dem Schlafengehen immer hat wiederholen lassen. Das geschieht mir recht. Ich hätte auf Don Maurizio hören sollen, der mich in die Messe eingeladen hat und dem ich geantwortet habe, dass mir Kirchen nur gefallen, wenn sie leer sind, weil ich nur dann das Gefühl habe, dass Er mir auch wirklich zuhört. Mein Telefonbüchlein verzeichnet einen Psychiater, einen Dermatologen, einen Kinderarzt, eine Kosmetikerin, einen Kardiologen, einen Osteopaten, einen Friseur, einen Zahnarzt, einen Klempner und sogar einen Schmied – von damals noch, als ich vor der Tür stand und auf Mattia gewartet habe, dem aus Versehen der Schlüssel abgebrochen und teilweise im Schloss stecken geblieben war. Nur einen Meteorologen gibt es in meinem Büchlein nicht, und erst jetzt begreife ich, warum es auf Wettervorhersagen spezialisierte Fernsehkanäle gibt. Sie besänftigen Ängste und beantworten die dringenden Fragen eines solchen Moments, wenn die Wetterverhältnisse den Terminplan bestimmen. Neben den Schriftzügen MAILAND __ PARIS prangt eine Schneeflocke auf der Anzeigetafel. Er müsse kein Meteorologe sein, um zu wissen, von wo der Wind bläst, singt Bob Dylan,
und nur ich weiß, wie dringend ich jetzt einen bräuchte, um mich ein wenig aufmuntern zu lassen. Ich gebe nicht auf, ich bin ein positiver Mensch und glaube, dass ich mit ein bisschen Konzentration die Barriere, die sich zwischen mich und meine Pläne geschoben hat, durchbrechen werde. Immerhin habe ich etwas zu lesen dabei, aber bereits nach zweiundsiebzig Minuten Erste Riten gebe ich auf. Mein Herz ist vor der Anzeigetafel zu einem Eiszapfen erstarrt, denn dort rattert gerade das Todesurteil neben meinen Flug: CANCELLED.
Dies ist ein Moment im Leben, der es wert ist, Schluss zu machen. Schluss zu machen mit der ganzen Übertreibung, um endlich in ein Flugzeug steigen und starten zu können. Und was soll das alles überhaupt? Bringt man diesen Piloten nicht bei, mit ein paar Widrigkeiten fertigzuwerden? Müssen sie gleich kapitulieren?
Ich verlasse das Gebäude. Dort wartet eine ganze Schlange von Taxis mit laufendem Motor auf uns tapfere Utopisten und Träumer, denen bereits dunkle Ringe unter den traurigen Augen wachsen. Normalerweise nehme ich kein Taxi vom Flughafen. Der Bus Nummer 73 braucht genauso lange, fährt dieselbe Strecke und kostet einen Euro.
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