Und immer wieder Liebe Roman
wissen, denke ich und lächle. Jetzt schüttelt sie ihm die Hand und wünscht ihm einen schönen Tag. Für sie scheint er bereits perfekt zu sein.
New York, den 2. März 2003
Liebe Emma,
bei einem doppelten Cappuccino feiere ich den hundertsten Geburtstag des Flatiron Building vom Architekten Daniel Burnham.
Zweiundzwanzig Stockwerke ist es hoch. Es ist auf der Postkarte abgebildet: Findest Du es nicht genial?
Federico
Mailand, den 8. März 2003
Via Londonio 8
Lieber Federico,
gerade habe ich gefrühstückt (Kaffee, warmer Toast mit Butter und Marmelade, dazu gab es frisch gepressten Orangensaft) und eine unerlaubte Morgenzigarette geraucht. Heute ist der 8. März, und mein erster Gedanke gilt Dir. Ich werde mir keine Mimosen kaufen, um sie mir ins Haar zu stecken, und ich hoffe, dass niemand auf die Idee kommt, mir welche zu schenken. In Wahrheit bekomme ich wahnsinnig gerne Blumen, aber diese mickrigen Fertigsträußchen, die ein einfühlsamer Bürochef auf den Schreibtischen seiner weiblichen Angestellten hinterlässt, obwohl in der Firma die Männer das Sagen haben, finde ich geschmacklos. Das ist doch scheinheilig. Ich möchte heute keine Prozessionen mehr durch die Straßen ziehen sehen, mir würde es reichen, wenn man den Asphalt reinigen und mehr Straßenbahnen einsetzen würde. Eine Menge Frauen drängeln sich in der Straßenbahn: weiße, fernöstliche, schwarze, chinesische, marokkanische, ägyptische und mailändische. Angestellte, Verkäuferinnen, Buchhändlerinnen, Arbeiterinnen, Schalterkräfte von Banken, Postämtern und Finanzämtern, Kosmetikerinnen, Friseurinnen, Maniküren, Buchhalterinnen, Pressesprecherinnen, Studentinnen, Arbeitslose, Ärztinnen, Zahnärztinnen, Hausfrauen, Journalistinnen, Krankenschwestern, Kinderfrauen, Polizistinnen, Kassiererinnen, Bardamen, PR-Frauen, Regieassistentinnen, Kreative, Professorinnen, Lehrerinnen. Frauen, Mütter, Töchter, Großmütter,
Schwestern, Schwiegermütter, Schwägerinnen. Ich wünsche mir, dass man heute die Hundekacke (der männlichen Hunde) aus den Beeten entfernt, mit einem Schippchen und Gummihandschuhen, damit wir zwischen den zaghaft blühenden Parkbäumen umhergehen können, ohne Gefahr zu laufen, auf dem Zeug auszurutschen. Ich wünsche mir, dass man die Löcher in den holprigen Bürgersteigen stopft und die parkenden Mofas der Männer von dort verbannt, denn sie verteilen sich wie die Fliegen und zwingen unsere (weiblichen) Fahrräder dazu, wehrlos und frustriert das Feld zu räumen. Ich wünsche mir, dass man Titelbilder und Artikel über Verbrechen an Frauen zensiert und uns einen Tag lang mit dieser Gewalt im öffentlichen Raum und in den eigenen vier Wänden verschont. Ich wünsche mir ein Lächeln und ein wenig ungekünstelte Freundlichkeit. Was mich betrifft, werde ich meinen Kundinnen einen Sonderpreis machen und ihnen das Schaufenster widmen: Bücher, die von Frauen handeln, gibt es in Hülle und Fülle. Frauen, die im Sitzen oder im Liegen lesen, ordentlich oder hingelümmelt, zerstreut oder in die Buchseiten versunken. Frauen, die sich dem Lesen verschrieben haben, gefährliche Frauen also.
Ich verehre Dich, obwohl Du ein Mann bist,
Emma
New York, den 8. März 2003
Liebe Emma,
hier kommt ein wenig New York vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Und die Stimme einer Frau: »Im Jahr 1908 haben die Arbeiterinnen der Baumwollindustrie in New York gestreikt, um gegen die schrecklichen Bedingungen zu kämpfen, unter denen sie arbeiten mussten. Der Streik zog sich einige Tage lang
hin, bis am 8. März der Fabrikbesitzer Mr. Johnson die Fabriktore zusperrte, um die Arbeiterinnen am Verlassen des Gebäudes zu hindern. Im Werk wurde Feuer gelegt, und die einhundertneunundzwanzig Gefangenen verbrannten in den Flammen. Rosa Luxemburg rief den 8. März zum Internationalen Tag der Frauen aus.« Im Büro haben wir zweiundzwanzig weibliche Mitarbeiterinnen. Ich habe ihnen Veilchensträuße mitgebracht, und sie haben mich verwundert angeschaut: Hier feiert man den 8. März nämlich nicht.
F.
Alice verändert sich. Es muss etwas passiert sein. Oder vielmehr, es muss passiert sein. Die Indizien sind eindeutig. Sie kommt in einem gewagten, nicht einmal knielangen Sackkleid in den Laden; dazu trägt sie dunkelblaue Strümpfe und weit ausgeschnittene Schuhe mit hohen Absätzen. Eine derart drastische Veränderung ihres äußeren Erscheinungsbildes kann nicht allein mit ihr zu tun haben. Alice
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