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Und jede Nacht ist Halloween

Und jede Nacht ist Halloween

Titel: Und jede Nacht ist Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Frankel
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und die Tür war aufgeschlossen. Er öffnete sie und warf mich auf die Straße hinaus, in den Schnee.
    »Du schmuddeliger Barbar«, brüllte ich, als er sich auf den Fahrersitz begab. »Mein Finger wird heilen. Aber in fünf Jahren hast du keine Haare mehr!« Doch sie waren schon längst im winterlichen Wind verschwunden. Der graue Hai segelte die First Avenue hinunter, und ich stand in meinen hohen Hacken auf. Die Netzstrümpfe waren ruiniert, und ich würde nie wieder einen Ring auf dem kleinen Finger tragen können. Ein leeres Taxi zog aus dem Nichts heran. Glück im Unglück. Ich warf mich auf den Rücksitz und lümmelte mich hin. Mein Finger pochte. »Ludlow und Delancey«, wimmerte ich.
    Der Kutscher sagte: »Das müssen Sie mir zeigen.«
    Ich stöhnte, quälte mich wieder hoch und zeigte Ashana Shamirez den Weg. Es machte nur drei Dollar fünfzig, also konnte ich ihn mit meinen Reservemünzen auf dem Boden meiner Handtasche bezahlen. Ich stolperte vor Alex’ Tür, im Schraubstock atemberaubender Qualen eingespannt. Na ja, vielleicht nicht ganz so schlimm. Ich hielt einen Finger über seine Türklingel, zögerte dann aber doch. Ich ließ die analytische Routine ablaufen und fragte mich, ob ich jetzt zu Alex rannte, damit er sich meiner erbarmte und mich zurück in sein Leben ließ. War ich ein Feigling, indem ich zu ihm rannte, wo ich doch selbst auf mich aufpassen konnte? Ich fragte mich, ob er mich die Nacht bei sich verbringen lassen würde. Vielleicht sogar in seinem Bett. Ich fragte mich weiter, ob das so eine gute Idee sei. Ich senkte meine Hand und atmete tief durch. Mein kleiner Finger war durch die unterbundene Zirkulation und durch die Kälte taub geworden. Er tat immer noch weh wie Arsch — ich bin nicht besonders tapfer. Ich ging die Ludlow Street rauf und klopfte mir selber auf die Schulter dafür, daß ich so erwachsen war.
    Ich kam bis zur East Houston, bevor ich zurücklief.

Vom Nieselregen in die Tschernobyl-Wolke

    Fsssss. »Hallo?« sagte Alex durch die Sprechanlage.
    »Ich bin’s, Wanda. Laß mich rein.« Ich wartete. Nichts. Ich drückte noch einmal stärker auf den Klingelknopf.
    Fssssss. »Ich werde jetzt nicht mit dir fertig.«
    »Was zum Teufel willst du damit sagen? Willst du mir damit sagen, daß ich schwierig bin? Hör mal, Freundchen, du bist nicht derjenige, der sich hier auf der Straße den Arsch abfriert mit einem kleinen Finger, der in der Mitte durchgebrochen ist.«
    Fsssss. »Ich habe meine eigenen Probleme.«
    »Alex, verdammt noch mal.« Meine Stimme ging hoch. »Ich brauch’ dich doch.«
    Click. Das Schloß ging auf. Alex’ Wohnung befindet sich in der sechsten Etage eines Wohnhauses ohne Lift (er nennt es die Fitneß-Etage). Ich war eigentlich gar nicht so außer Atem, als ich den Aufstieg hinter mir hatte. Die Tür stand offen. Ich ging hinein. Seine Studiowohnung, ein Zimmer mit einer Küche in Schrankgröße, schien mir sogar noch mickriger, als ich sie in Erinnerung hatte. Das Klo war immer noch in der Dusche. Jeder Zentimeter in der Senkrechten war mit gerahmten Fotos und den Bücherregalen, die er selber gebaut hatte, dekoriert. Er räumte dauernd seine Bücher um. Die Bilder waren bunt und nicht alle von ihm. Habe ich schon erwähnt, daß Alex Fotograf ist? Früher für Modejournale, dann für Do It Right. Außerdem sammelte er alte Möbel aus Läden der Heilsarmee — bunte Fünfziger-Jahre-Dekosachen — , die allen verfügbaren Platz auf dem Boden belegten. Besonders liebte er einen schwarzen Lacktisch mit blauer Glasplatte, den er bei einem Wohltätigkeitsbasar in New Jersey gefunden hatte. Niemandem war es gestattet, seine Füße oder ein Glas ohne Untersetzer darauf zu setzen. Der Teppich war ein gewebtes lila Indienteil. Girlanden von Negativen hingen von einem Stück Drahtgeflecht, das von der Decke hing. Der Raum war niedrig, vielleicht zwei Meter sechzig. (Alex, mit seinem Gardemaß von einsfünfundneunzig konnte sie anfassen, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte.) Im Vergleich zu meiner großzügig geschnittenen Bude war Alex’ Wohnung geradezu klaustrophobisch klein. Und nervend ordentlich. Er war ein zwanghafter Aufräumer.
    »Hier bin ich«, sagte er von seinem Hochbett aus. Es war ungefähr ein Meter sechzig vom Fußboden entfernt. Keine Leiter. In der ersten Nacht, die ich hier verbrachte, erzählte er mir die Geschichte einer ehemaligen Freundin, die den Sprung nicht schaffte. Es war ihr so peinlich, daß sie nie wieder zurückkam.
    Ich

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