Und jede Nacht ist Halloween
»Von hinten kommt was ran, Baby«, und ich drehte mich um, mir das anzuschauen. Der Sechstürer, der sich da an mich heranrobbte, hatte dicke, schwarze kugelsichere Scheiben. Die Lackierung war haifischgrau. Ich versuchte, den Fahrer festzustellen, aber durch den Schnee und die Fenster konnte ich nicht viel sehen. Die Limousine hielt und stellte sich in zweiter Reihe direkt neben den Eingang des Haschhändlers. Ich drehte mich um und starrte auf die Ampel. Ein Motorrad rauschte auf der Avenue vorbei. Ich hörte das Echo von Gelächter, das aus der Eckkneipe kam. Irgendwoher aus der Nähe hörte man den Knall einer Fehlzündung. Die Neugierde zwang mich, den Wagen noch mal zu begutachten. Während ich so den Horizont abtastete, bemerkte ich, daß sowohl der Stadtstreicher als auch der Dealer verschwunden waren. Der Wagen war geblieben. Aber obwohl er nur einen Meter entfernt stand, konnte ich ihn nicht sehen. Alles, was ich sehen konnte, war der fünfzehn Zentimeter lange Lauf eines 45er Colts, der direkt auf meine Nase gerichtet war.
Instinktiv griff ich nach Mama in meiner Handtasche. Der dreihundert Pfund schwere Schlägertyp, der an die Pistole angeschlossen war, hinderte mich daran. Er hatte Hände wie Speiseplatten. »Beweg den Arm, und er ist weg, Schwester«, riet er mir. Ich fragte mich, wieviel Schaden er anrichten würde, falls ich über seine typisch männliche Glatze frotzeln würde. Er musterte mich von oben bis unten und sagte: »Bismark ist so verdammt kalkulierbar.«
»Der deutsche Reichskanzler?« fragte ich.
»Nein, der Hering, Baby. Rein in den Wagen.« Er grub den Lauf in mein Kinn.
Ich stieg ins Auto. Der hintere Teil dieses Schlittens war so groß wie das Büro von Do It Right, nur wärmer. Es gab da eine Minibar, einen kleinen Kühlschrank und einen Farbfernseher, in dem gerade die Spätsendung lief. Irgendein Film mit Bette Davis. Der Name ist mir entfallen. Ein winziger Mann mit weißem Bart sah sich den Streifen an, gemütlich in einen seidenen Pyjama gewandet, und trank dabei Diät-Cola. Der Schläger rutschte neben mir hinein. Er hielt seine Pistole weiterhin auf meine Brust gerichtet. Wir warteten auf einen Werbespot.
Endlich sagte der alte Mann sanft: »Gigantor, du weißt doch, daß ich Pistolen hasse.« Der Schläger streckte sich weit zurück, um die Kanone unter seinen Gürtel zu stecken. Der alte Mann drehte sich zu mir. »Ich bin Nicolaus Vespucci. Ich habe eine Menge Spitznamen, aber der gebräuchlichste ist Saint Nick. Ich bin ein privater Investor. Und Sie sind eine private Detektivin. Das muß sehr interessant sein. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir mal eines Tages mehr darüber erzählen würden.« Er hielt seine altersfleckige kleine Hand zum Schütteln heraus. Ich schüttelte.
»Wanda Mallory. Keine Spitznamen.«
»Jeder sollte einen Spitznamen haben. Ich werde Sie, hmmmm. Noch eine Sekunde. Ich bin in so etwas sehr gut. Ich gebe jedem, den ich kenne, einen Namen. Ja, ich sehe Sie als, na ja... Hmmmm. Das ist ja merkwürdig. Mir fällt nichts ein.«
»Ich glaube, das ist der Grund, warum ich nie einen Spitznamen hatte.«
»Darauf können wir noch mal zurückkommen. Ich verhungere. Und Sie?«
Sterbenshungrig. Ich sagte: »Nein danke.« Nick langte in den Kühlschrank und holte eine Kabanossi hervor. Er schnitt längs in sie hinein und fing gleichzeitig an, riesige Brocken abzureißen und zu kauen. Ich habe noch nie jemanden Kabanossi mit einer solchen Hingabe verschlingen sehen. Der Knoblauchduft war himmlisch.
»Sind Sie sicher, daß Sie nichts möchten?« fragte er. »Sie sehen eigentlich so aus.«
Na und, also läuft mir das Wasser im Mund zusammen. »Nein, danke sehr, ich brauche nichts im Moment.«
»Ich vermute, Sie fragen sich, warum ich Sie durch Gigantor so habe entführen lassen.«
»Ich hätte nichts gegen eine ganz einfache Einladung gehabt.«
»Gewalt ist wirklich lästig, ich weiß. Das tut mir sehr leid, aber diese Gesellschaft erfordert es. Wenn ich alles so machen könnte, wie ich’s gerne würde, dann hätte ich Ihnen eine anständige Einladung geschickt. Gigantors Pistole war nur die Versicherung: um sicherzugehen, daß Sie mich auch wirklich besuchen kommen.« Seine Augenbrauen kippten in der Mitte nach oben. Dadurch sah er aus wie ein freundlicher alter Schülerlotse. »Ich bin jetzt da, also was gibt’s?« Er machte eine Pause, um einen Bissen zu nehmen. Während er in die Wurst hineinbiß, konnte ich einen Blick auf seine
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