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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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was Sie sagen, wie? Er muß es tun!«
    »Sie sind ja verrückt! Dann haben wir alle keinen Schutz mehr.«
    »Aber mein Tod hätte Sinn! Die Welt würde …«
    »Hören Sie auf«, sagte Manuel. »Sie machen mich krank.« Er holte ein kleines Notizbuch aus der Tasche und blätterte.
    »Was wollen Sie?«
    »Telefonieren.«
    »Mit wem?«
    »Doch mit der Polizei«, sagte Manuel. Im nächsten Moment preßte sich der Lauf des Revolvers gegen seinen Magen.

48
    ›Zwar vermag exakte Wissenschaft nichts über Gott auszusagen. Das wissen wir spätestens seit Immanuel Kant. Man kann aber, auf der Suche nach einer Weltanschauung die Grenze zwischen Wissenschaft und Ideologie überschreitend, zumindest folgenden Gedanken erwägen: daß Gott diese Welt hat entstehen lassen nicht als einen von Anfang an wohlgeordneten Kosmos, sondern als ein unendliches Spiel von Versuch und Irrtum, von Zufall und Notwendigkeit. Auch die Schönheit des Kolibris oder der Rose ist etwas Gewordenes – geworden, so lehrt es uns der Darwinismus, durch Mutation und Auslese. Das Universum (und in ihm alles Leben auf dieser Erde) als Gottes Spiel, das sich über die Jahrmillionen zum Kosmos ordnet – ist das nicht ein Gedanke, dem nachzuhängen sich lohnt?‹
    Diese Worte standen, in winzig kleinen, präzisen Buchstaben auf einem weißen Blatt Papier, das vor dem Hofrat Wolfgang Groll lag. Vollgeräumt war der mächtige, antike Arbeitstisch mit Manuskripten und aufgeschlagenen Büchern. Eine alte Tischlampe, die einen beigefarbenen Pergamentschirm trug, beleuchtete das Durcheinander. Sonst lag das Arbeitszimmer der großen Wohnung des Hofrats in Dunkelheit. Alle Wände waren von Bücherregalen verdeckt. Ein Fenster stand halb offen. Frische, kalte Nachtluft strömte in den Raum. Ein alter Samowar stand auf einem Tischchen, ein Telefon auf einem anderen.
    Groll hielt den Hörer ans Ohr.
    Seit drei Minuten lauschte er Manuels Bericht. Von Zeit zu Zeit trank der Hofrat einen Schluck Tee. Er brauchte immer Unmengen von Tee, wenn er nachts arbeitete, und er arbeitete schon seit längerer Zeit. Der homosexuelle Mörder war nach einem Verhör von knapp zwei Stunden zusammengebrochen und hatte gestanden. Den Rest erledigten Grolls Kommissare. Er war heimgefahren und hatte es sich bequem gemacht. Pantoffeln. Ein alter Morgenmantel. Die Krawatte fort. So saß er nun da, ein Blatt des Manuskriptes zu dem Buch seines Lebens vor sich. Das Blatt trug die Seitenzahl 713. Es würden gewiß noch einmal so viele Seiten werden, bis das Werk vollendet war. Am schweren Fuß der alten Lampe lehnte ein kleiner, vergoldeter Rahmen. Unter ihm befand sich, von Glas bedeckt und geschützt, ein goldgelbes Ginkgo-Blatt. Groll hatte es stets vor Augen, wenn er in diesen Nachtstunden, die er liebte, hier saß und schrieb.
    »… Herr Zagon rammte mir zuerst seinen Revolver in den Magen, als ich sagte, ich wollte die Polizei anrufen«, erklang Manuels Stimme. »Er hat kein Vertrauen zur österreichischen Polizei – aber das erzählte ich Ihnen schon.«
    »Das erzählten Sie mir schon, Herr Aranda. Ein kluger Mann, Ihr Besucher.« Groll sah das gespaltene Ginkgo-Blatt an. Und immer, immer wieder in seinem Leben hatte dieses Blatt ihm etwas zu sagen, ›paßte‹ es zur Situation. Mit einem Zeigefinger strich Groll, das silbergraue Haar verwirrt, die Beine ausgestreckt, den massigen Leib vorgeschoben, die Umrisse des Blattes nach. Imperialistisch-revisionistische Renegatenclique – kapitalistisch-reaktionäre Kriegsverbrecher, dachte er. Die beiden großen Gegensätze in Koexistenz. Die äußerst verschiedenen Systeme –
eines,
auch jetzt und hier und in dieser Stadt und in dieser Nacht. Amerika und Rußland. Ost und West.
Sind es zwei, die sich erlesen, daß man sie als eines kennt?
    »Erst als ich Herrn Zagon von Ihnen erzählt hatte, stimmte er zu, daß ich telefonierte. Er kennt Sie natürlich …«
    Groll dachte: Diese junge Frau, die Aranda nun immer wieder trifft. Die Gesetzmäßigkeit, die ewige Gesetzmäßigkeit, die Unentrinnbarkeit von dem allem. Exakter, vollkommener noch als Goethe es mit Sinn belegte, ist dieses Blatt Symbol, Urzeichen allen Lebens, alles Lebendigen. Der Mord an Arandas Vater, der Selbstmord Valerie Steinfelds, auch sie müssen zusammenhängen, unbedingt, unlösbar verkettet miteinander, ich weiß noch nicht wie, aber wir werden es einmal wissen. Valerie Steinfeld und Raphaelo Aranda. War das
ein lebendig Wesen, das sich in sich selbst

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