Und Jimmy ging zum Regenbogen
Mitarbeiter heimlich in verborgenen Laboratorien entwickelt hatten. Nein, er ahnte nichts von dem Kampfstoff AP Sieben, dessen Geheimnisse der Dr. Raphaelo Aranda in Wien soeben an Amerikaner und Sowjets verkauft hatte: an beide Mächte, ein glattes Geschäft, das auf der ebenso verbreiteten wie mörderischen Lehre vom Gleichgewicht des Schreckens basierte, welches angeblich allein den Weltfrieden erhalten konnte.
Der untersetzte Hofrat mit dem silbernen Haar und Manuel Aranda saßen nun wieder in Grolls stillem Büro. Vor den Fenstern, von denen eines halb geöffnet war, sanken Schneeflocken zur Erde. Schweigend lasen die Männer zwei Kopien des dechiffrierten Manuskripts, die ein Kurier der Staatspolizei gebracht und Groll übergeben hatte. Manuel saß nahe neben dem Hofrat, am Schreibtisch. Die starke Tischlampe brannte. Im Zimmer war es dunkel und warm. Keiner der Männer sprach ein Wort.
Von Zeit zu Zeit sah der Hofrat Groll besorgt den jungen Mann an. Doch Manuel hatte sich nach dem Ausbruch im Filmvorführraum des Sicherheitsbüros mit äußerster Anstrengung aller Kräfte gefangen, und sein Gesicht war nun erschreckend unbewegt und ausdruckslos. Das begann den Hofrat zu ängstigen. Der Junge darf nicht in dieser Starre verharren!, dachte er und las schaudernd weiter. Er verstand genug von Biologie und bakteriologischer Kriegsführung, um zu begreifen: Alles, was es bisher auf diesem Gebiet gab, war lächerlich, verglichen mit den Auswirkungen von AP Sieben …
Und das will etwas heißen, überlegte Groll, wenn man zum Beispiel daran denkt, was die bekanntesten amerikanischen Nervengifte GA , GB und GD anrichten, deren Grundlagen, wie die der meisten Nervengifte, schon während des Zweiten Weltkrieges bei den IG -Farben-Werken entwickelt worden sind.
GB ist viermal giftiger als GA und wirkt dreißigmal schneller tödlich. Es erweist sich in kleinsten Mengen als hochtoxisch. Die Symptome beginnen mit Schnupfen, Augenstechen und Erbrechen und enden mit Konvulsionen und Tod nach spätestens zwei Minuten. GD hat ähnliche Eigenschaften, nur verfliegt es langsamer und bleibt deshalb länger wirksam. GA , GB , GD – alles nichts im Vergleich mit AP Sieben! dachte Groll. Er sah wieder zu Manuel. Der las und bewegte keinen Muskel seines Gesichts. Auch Groll las weiter. Was hier, entschlüsselt, in dürren Worten stand, das war noch viel schlimmer, als der Film anzusehen gewesen war …
Die beiden Supermächte arbeiten fieberhaft an B - und C -Waffen, dachte Groll. Seit 1961 hat Amerika den Etat für die Entwicklung solcher Kampfmittel verfünffacht. 1967 – nun, da er mit dem Fall Aranda beschäftigt war, hatte Groll sein Gedächtnis durch die Lektüre alter Zeitschriften und Handbücher seiner großen Bibliothek aufgefrischt – erreichte das Jahresbudget der amerikanischen Kriegsgiftforschung und -herstellung 920 Millionen Dollar. 400 Millionen zahlte das Pentagon für Entlaubungs-Chemikalien, die den Dschungel Vietnams lichten sollten. Vor einem Monat erst hatte die US -Luftwaffe zu demselben Zweck 200 Millionen angefordert.
Die Amerikaner besaßen, für 75 Millionen Dollar unweit Washingtons erbaut, Fort Detrick, eine ›zentrale Forschungsstätte‹. Die Engländer experimentierten hauptsächlich in Porton Down. Rußland und die Ostblockstaaten hielten ihre Laboratorien besser geheim. Der geflüchtete westdeutsche Mikrobiologe Ehrenfried Petras erklärte 1968 im ostdeutschen Fernsehen, daß auch die Bundesrepublik über Auftrag der Amerikaner an der Entwicklung neuer B - und C -Kampfstoffe beteiligt sei, daß die Amerikaner solche Aufträge an
viele
Länder vergeben würden.
Im Osten war das ebenso. Die Russen standen den Amerikanern in nichts nach! Etwa ein Sechstel der Munition bei den Sowjetverbänden am Eisernen Vorhang war, wie der amerikanische Geheimdienst meldete, mit chemischem Kampfstoff gefüllt.
Natürlich gab es Pannen.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ereigneten sich allein im Sperrbezirk von Fort Detrick seit 1950 750 Unfälle. Mindestens vier Forscher starben an den zu Kriegszwecken ersonnenen Infektionen – zwei von ihnen an Milzbrand. Einen mühsam vertuschten Skandal gab es, als ein zweiundzwanzigjähriger Soldat, der in der Anlage Dienst tat, plötzlich elend an Lungenpest zugrunde ging. In München kam es 1967 zu einer rätselhaften Q -Fieber-Epidemie. Im US -Staat Utah fand man auf einem einsamen Weidegelände 6500 tote Schafe – Opfer eines aus einer nahen
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