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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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schluckt.
    Heinz sagte heiser, sich mehrmals räuspernd, während es in seinem Gesicht zuckte: »Also gut. Dann mußt du wählen.«
    »
Was?
Was muß ich wählen?«
    »Zwischen dem Russen und mir.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ganz einfach.« Heinz stand jetzt hoch aufgerichtet. »Ich gehe da hinein und zeige den Russen an – dann bleibt zwischen uns alles, wie es ist, für immer. Oder …«
    »Oder?«
    »Oder der Russe ist dir wichtiger. Gut, dann gehe ich nicht da hinein. Dann habe ich ihn nicht gesehen …«
    »Heinz! Heinz!«
    »Aber dann gehe ich von dir fort! Jetzt in dieser Minute. Zurück ins Werk. Dann ist es aus zwischen uns …«
    »Heinz! Bist du verrückt geworden?«
    »Überhaupt nicht. Dann ist es aus. Wenn du
das
von mir verlangst – gut, ich will es tun. Aber lieben kann ich dich dann nicht mehr. Leben kann ich dann nicht mehr mit dir. Zu tun haben will ich dann nichts mehr mit dir …«
    Sie sahen sich an, nah, ganz nah.
    »Nun?«
    Fast unhörbar flüsterte Bianca:
»Geh nicht hinein, Heinz.«
    Ohne ein Wort reichte er ihr den alten, schmutzigen Mantel und den Brotbeutel des Russen. Ohne ein Wort drehte er sich um und ging den Platz hinauf, in Richtung seiner Fabrik.
    »Heinz!« rief sie, leise und überwältigt. »Heinz! Heinz, bitte …« Sie stand nun allein auf dem harten Erdboden, vor dem Haus mit der blauen Lampe.
    Bianca sah immer noch Heinz nach. Jetzt verschwand er schon in der Dunkelheit. Nur das Geräusch seiner Schritte war noch zu hören, und auch dieses wurde schnell leiser …

23
    »Das war das letzte Mal, daß ich Heinz in meinem Leben gesehen habe«, sagte Bianca Barry, sechsundzwanzig Jahre später an derselben Stelle des Marktplatzes von Fischamend stehend. »Nie mehr, nein, nie mehr sah ich ihn wieder …«
    Manuel und Irene, die neben ihr standen, schwiegen.
    Endlich blickte Bianca sie wieder an.
    »Da drüben war die Gendarmerie untergebracht«, sagte sie. »Dort, wo jetzt das Kolonialwarengeschäft ist. Oft kam ich hierher, schon seit den ersten Jahren nach dem Krieg. Ich bin immer zum Strom hinuntergegangen und habe zur Insel geschaut, zu unserer Insel. Dort war ich nie mehr …«
    »Und Heinz hat niemals mehr versucht, mit Ihnen in Verbindung zu treten?« fragte Irene.
    »Niemals, nein.« In Biancas Stimme klang seltsamer Stolz. »Ich habe alles versucht, alles! Meine Freundin hat ihm Briefe über Briefe gebracht, in denen ich um ein Rendezvous gebettelt, gefleht habe. Er ist niemals erschienen. Meine Freundin hat versucht, mit ihm vernünftig zu sprechen, ihn umzustimmen – auch vergebens. Er hat mich damals vor die Wahl gestellt. Ich habe gewählt. Das ist alles. Er hat sich an die Spielregeln gehalten.«
    »Aber das ist doch …«, begann Manuel und brach ab, als er Irenes Blick bemerkte.
    »Was ist das?« fragte Bianca.
    »Nichts.« Manuel fröstelte plötzlich. Es wurde dämmrig.
    »Damals, in jener Nacht«, sagte Bianca, »da stand ich noch zehn Minuten hier, auf diesem Fleck. Ich konnte mich nicht rühren. Dann lief ich zum Bahnhof. Immer noch mit dem Russenmantel und der Brottasche. Der letzte Zug nach Wien war abgefahren. Ich mußte zu Fuß gehen.«
    »Was, von hier bis nach Wien?«
    »Ja«, sagte Bianca. »Über fünf Stunden war ich unterwegs. Irgendwo hinter Schwechat habe ich den Mantel und den Beutel weggeworfen. Mutter war halbtot vor Angst, als ich endlich ankam. Ich mußte ihr die Wahrheit sagen – wenigstens, daß ich Heinz
getroffen
hatte. Meine Freundin konnte mir da nicht mehr helfen.«
    »Und?«
    »Nichts und«, sagte Bianca. »Mein Vater war ja verreist, zum Glück. Und Mutter hatte fürchterliche Angst vor ihm. Eine schwache, hilflose Person. Sie weinte bloß, und sie ließ mich schwören, daß ich Heinz nun nicht mehr sehen würde. Ich schwor. Mir war alles so egal, so egal. Ich konnte nicht mehr. Meine Füße bluteten. Ich war vollkommen erschöpft. Mein Vater hat nie etwas erfahren …«
    Wieder folgte ein Schweigen.
    Dann sagte Bianca: »Verstehen Sie jetzt, warum ich Sie hierher geführt habe? Daß ich Ihnen die Insel zeigen wollte, wenn ich Ihnen meine Geschichte mit Heinz erzählte?«
    »Ja«, sagte Irene.
    »Es war der wichtigste und der schönste und der schrecklichste Tag für mich«, sagte Bianca. »Jetzt kennen Sie mein Geheimnis. Es hat nur einen Mann gegeben, den ich ohne alle Grenzen, besinnungslos und bedingungslos liebte. Sie sollten sehen, wo es geschehen ist, damals, an jenem Sonntag im Juni, Sie sollten es

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