Und Jimmy ging zum Regenbogen
Offiziere waren auf Nora Hills Ankunft vorbereitet worden. Die Heimkehrende fand ihr Appartement im ersten Stock so vor, wie sie es zweieinhalb Jahre zuvor verlassen hatte. Die Engländer stellten ihr einen Jeep und einen Sergeanten als Fahrer zur Verfügung. Nora Hill erhielt, nach Verhandlungen britischer Militärs mit den österreichischen Behörden, die Erlaubnis, das seltsam rund gebaute Haus als Eigentum zu erwerben.
Nun gehörte die Villa ihr!
Die englischen Offiziere blieben noch bis 1950 Noras Gäste, mit denen sie Feste feierte und viele interessante Gespräche führte. Sie wurde Schwarzmarktkönigin Wiens. Sie handelte mit deutschem Armeegut, Schrott, Marvel-Zigaretten, auch mit Menschen. Aus jener Zeit stammten ihre ersten Verbindungen zu verschiedenen Geheimdiensten. 1950 bereits hatte Nora Hill ihr großes Vermögen vervielfacht. Und sie besaß feste Vorstellungen von der Zukunft …
Bald nachdem sie die Villa erworben hatte, entsann Nora sich Valerie Steinfelds, und am 17. März 1948 ließ sie sich in die verelendete, schmutzige und triste Stadt, durch eine zum Teil ausgebombte Kärntnerstraße, die, einmal Luxusboulevard von Wien, nun der Hauptstraße eines polnischen Dorfes glich, zur Seilergasse und der Buchhandlung Landau fahren. Sie bat den Sergeanten am Steuer, zu warten, dann schwang sie, in einem kanadischen Nerz, schmuckbehangen, in langen Seidenhosen, auf Leichtmetallkrücken, dem alten Laden mit seinem verwitterten Blechschild über dem Eingang entgegen. Silberhell erklang die Melodie des Glockenspiels über der Tür.
›Freut euch des Lebens …‹
51
Da stand der Bär mit dem Bücherkorb in den Vorderpfoten. Der Korb war leer. Nora blickte sich um, auf den Krücken balancierend. Licht brannte wie einst in den von der hohen Decke herabhängenden Milchglaskugeln. Die Hälfte der Regale war leer. Nora erblickte nur wenige neue Bücher, die meisten waren antiquarisch. Aus dem seitlichen Eingang zu den hinteren Lagerräumen, an den Nora sich genau erinnerte, trat, schäbig gekleidet, abgemagert und noch schwächlicher geworden, den Kopf schief gelegt, die linke Schulter hochgezogen, Martin Landau. Er sprach so leise, und er war wieder so schreckhaft, wie Nora Hill ihn von ihrer ersten Begegnung in Erinnerung hatte.
»Guten Tag, gnädige Frau …«
»Guten Tag, Herr Landau. Erkennen Sie mich nicht?«
»Fräulein Hill!« Landau griff sich an das Herz. »Mein Gott, wie freue ich mich! Wir haben schon geglaubt, es ist Ihnen etwas passiert …«
»Ein wenig ist mir passiert.«
»Ja, das sehe ich. Furchtbar. Wie …« Er brach ab.
»Ein Unfall«, sagte Nora schnell. »Sonst geht es mir ausgezeichnet.« Sie hielt ihm die Hand hin, die er schüttelte. Seine Hand war eiskalt. »Und wie geht es Ihnen?«
»Oh, danke. Wir haben überlebt, nicht wahr? Immerhin … die Hauptsache. Wir dürfen nicht klagen. Wenn es erst wieder genug Bücher gibt …«
»Wo ist Frau Steinfeld?«
Martin Landau sah zur Seite.
»Im Teekammerl. Schreibt einen Brief, ich habe gerade diktiert. Ich werde sie sofort holen …«
»Nein, ich möchte zu ihr gehen«, sagte Nora. »Ich darf doch?«
»Aber natürlich … Ich dachte nur … immerhin …« Sein Blick glitt wieder zu den Krücken.
»Schauen Sie, das funktioniert schon ausgezeichnet mit ihnen!« Nora Hill schwang schnell über die verzogenen Bohlen des Bodens. Er sah ihr nach, bleich, verhungert und ängstlich.
»Mein Gott«, murmelte er, »mein Gott …«
Nora Hill passierte den schmalen Gang, in dem während des Krieges antiquarische Kriminalromane gestanden hatten. Jetzt waren die Regale leer, voll Staub und Spinnweben. Aus dem Teekammerl drang der Schein der grünbeschirmten Lampe.
»Frau Steinfeld!« rief Nora.
»Ja«, sagte eine klanglose, müde Stimme.
Im nächsten Moment erreichte Nora das Teekammerl und sah Valerie, die vor dem Schreibtisch saß und sich umgedreht hatte. Sie trug einen Verkäuferinnenmantel – wie damals, dachte Nora, wie damals –, und auch sie war blaß gleich Landau und machte einen sehr gealterten Eindruck. Das blonde Haar hatte sie hochgekämmt. Es leuchtete nicht mehr. Die einst so strahlenden blauen Augen waren glanzlos geworden.
»Ich bin Nora Hill, Frau Steinfeld!«
»Natürlich, Fräulein Hill. Ich habe Sie gleich erkannt. Wie schön, daß Sie uns einmal besuchen. Bitte, nehmen Sie Platz.« Valerie hatte sich erhoben. Auch ihre Hand war eiskalt, bemerkte Nora. Vorsichtig, aber schnell ließ sie sich
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