Und keiner wird dich kennen
Mädchen immer nur auf den Charakter«, gibt Stella honigsüß zurück.
»Gibt es denn auch irgendwelche Hinweise?«, fragt Maja ungeduldig. Elias ist immer in ihren Gedanken, jede Sekunde lang. Als Stella nickt, dreht Maja das Display zu sich hin und liest sich die bisherige Ausbeute durch. Ein Junge hat jemanden, der wie Robert Barsch aussah, in den letzten Ferien in England gesehen. Ein anderer hat ihn angeblich in München beim Bücherkaufen erkannt. Maja schüttelt den Kopf. »Fehlalarm, schätze ich. Meine Mutter hat mal erzählt, dass er nicht liest.«
Einer von Stellas Freunden meint, er habe ein verdächtiges Auto – einen ziemlich abgewrackten Lieferwagen – in Olching beobachtet. Hm. Ein Junge, der auf einem Hof in Gernlinden wohnt, berichtet, dass jemand vor ein paar Tagen nachts bei ihnen ums Haus geschlichen sei.
»Und was machen wir jetzt mit all diesen Infos?«, fragt Maja ratlos.
»Wenn ein paar interessante Sachen dabei sind, sollten wir sie an Tellkamp weitergeben«, schlägt Lorenzo vor, und Maja nickt.
Stella liest noch immer etwas auf dem Monitor. »Zum Beispiel den Tipp hier – Alli meint, sie kenne ein Medium, das vermisste Personen finden kann, wenn man ihr einen Gegenstand gibt, den die Person berührt hat.«
Wer war noch mal Alli? Ach ja, das schielende Mädchen mit dem Vampir-Tick, das sie am ersten Tag in der Schule zugetextet hat.
»Ich weiß nicht so recht«, sagt Maja ohne Begeisterung. Ihr Glaube an übersinnliche Wahrnehmung hält sich in Grenzen. »Wir könnten es versuchen. Frag mal, ob das Medium herkommen kann – ich habe Elias’ Kuscheltier hier. Aber der Kripo sagen wir besser nichts davon, die denken, wir sind jetzt völlig ausgetickt.«
Einer der anderen Kommentare erregt Majas Aufmerksamkeit. Ben meint, er sei neulich zum Olchinger See gefahren und dabei habe er an einer Stelle – in der Nähe des Kreisels – seltsame Geräusche gehört, ganz leise nur.
Was denn für Geräusche?, tippt Stella gleich zurück.
Es klingt jetzt total bescheuert, aber die Geräusche klangen irgendwie nach einem Zeichentrickfilm , antwortet Ben.
»Ein Zeichentrickfilm?« Lorenzo blickt ungläubig drein.
»Frag ihn, wann das war!«, drängt Maja, und Stella tippt: Was meinst du mit neulich? Wann genau?
Gestern am späten Nachmittag , antwortet er, und Lorenzo, Maja und Stella blicken sich an. Rasch geht Stella auf Google Maps und ruft einen Stadtplan auf. »Am Kreisel ... da stehen auf beiden Seiten irgendwelche Höfe und Scheunen. Hm!«
Es gibt keine Zeit mehr zu verlieren. Maja steht auf und rennt nach unten. Ist der Kommissar überhaupt noch da? Wird er ihr zuhören, sie ernst nehmen?
Auf halbem Weg ins Wohnzimmer fängt Stellas Schwester Susanne sie ab. »Was für eine Pizza willst du?«
»Äh, Pizza? Was für eine Pizza?«
»Heute hat keiner den Nerv zu kochen, wir bestellen einfach was.«
»Ach so. Für mich bitte eine Regina.«
Sie hört noch, wie Su oben in Stellas Zimmer die gleiche Frage stellt und Lorenzo aufstöhnt.
Wie sich herausstellt, ist Bernd Tellkamp schon wieder ins Präsidium oder wohin auch immer zurückgekehrt, um die Geiselübergabe in der Nacht vorzubereiten. Maja hat das Telefon schon in der Hand, um Tellkamp anzurufen, da bemerkt sie, dass der Polizeipsychologe – ein Mann mit fein geschnittenen Gesichtszügen und Ziegenbart – noch da ist. Gerade steht er mit ihrer Mutter, die von dichten Schwaden Zigarettenrauch umgeben ist, auf der Terrasse und erklärt etwas. Als Maja näher kommt, fangen ihre Ohren Satzfetzen auf. »... sind Stalker gewöhnlich Leute mit einer Bindungsstörung, das führt dazu, dass sie zu einer normalen Beziehung nicht fähig sind, sie empfinden Nähe und Distanz ganz anders.«
»Er hat mich nicht nur gestalkt! Robert mag Gewalt. Er ... Sie wissen nicht, was er uns angetan hat.« Ihre Mutter saugt an der Zigarette, drückt sie dann mit kurzen, ruckartigen Bewegungen auf einer Untertasse aus.
»Verstehe. Was ich meinte, ist, dass es ihm vermutlich schwerfällt, sich in die Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen. Das ist besonders oft der Fall bei Menschen, die ungeliebt aufwachsen ...«
»So, da haben wir ihn wieder, den armen Verbrecher, der eine ach so schwere Kindheit hatte!«
»Ja, genau, da haben wir ihn wieder«, gibt der Psychologe ruhig zurück. »Lieben muss man lernen. Robert Barsch weiß vermutlich nicht, wie das geht. Schwer zu beurteilen, ob bei ihm weitere psychische
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