Und keiner wird dich kennen
Erkrankungen ...«
»Mama?«, fragt Maja vorsichtig, und Lila wendet sich ihr zu. Ihre Augen fokussieren, werden hart und kalt. Sie ist noch weit entfernt davon, ihr zu verzeihen.
»Wir haben vielleicht eine Spur«, erklärt Maja und beschreibt schnell ihren Facebook-Aufruf und die seltsame Beobachtung von Ben. Doch weder der Psychologe noch ihre Mutter zeigen irgendeine Reaktion.
»Vermutlich saß in einem Nachbarhaus ein Kind vor dem Fernseher«, sagt der Psychologe trocken.
Arsch! Maja wendet ein: »Dort wohnt aber niemand.«
»Ruf bitte Tellkamp an«, sagt Lila, sie klingt müde. Schon steckt sie sich die nächste Zigarette an. Maja würde sie so gerne in den Arm nehmen, sie trösten, ihre Sorgen mit ihr teilen ... aber das würde Lila jetzt nicht zulassen. Sie ist schon längst nicht mehr die Frau, die sie aus ihrer Kindheit kennt, aus der Zeit vor Robert Barsch. Manchmal vermisst Maja diese herzliche, temperamentvolle, zupackende Mutter, die ihr damals geduldig erklärt hat, wie Fernsehwellen durch die Luft sausen. Und die mit einem filmreifen Ausbruch ein Rudel Jungs, die sie im Schwimmbad böse geärgert haben, um mehrere Nummern geschrumpft hat.
Maja zieht sich ins Wohnzimmer zurück und wählt Tellkamps Nummer. Doch als sie versucht, ihm die Sachlage zu erklären, wird seine Stimme schneidend. »Wieso habt ihr diese Aktion nicht mit uns abgesprochen? Und habt ihr die Leute wenigstens gewarnt, sie sollen Barsch keineswegs direkt ansprechen? Der Mann ist bewaffnet und gefährlich!«
Erschrocken verspricht Maja, diesen Hinweis sofort hinzuzufügen. Und dann kann sie endlich loswerden, was Ben beobachtet hat. Zum Glück nimmt der Kommissar sie auf Anhieb ernst. »Das klingt in der Tat sehr seltsam. Ich schicke ein paar Leute hin. Was habt ihr noch so an Hinweisen?«
Als Maja sie ihm diktiert hat, ist es schon zwanzig Uhr. Nur noch drei Stunden, bis sich ihre Mutter und Robert Barsch zum ersten Mal seit drei Jahren gegenüberstehen. Und was passiert dann? Bekommen sie Elias wieder, wird er verletzt sein? Was geschieht mit Lila, wenn die Polizei aus irgendeinem Grund nicht zugreifen kann, ist sie dann anstelle von Elias Geisel dieses Scheißkerls?
Es klingelt jetzt ständig an der Tür. Erst ist es der Pizzabote, dann zwei Polizeibeamte, die mit Lila den Ablauf der Übergabe absprechen wollen. »Wir werden Ihnen ein winziges Mikrofon verpassen, damit wir Sie und die Anweisungen von Barsch hören können«, erklärt der eine und übt mit ihr das Anlegen der Ausrüstung und der kugelsicheren Weste. »Darin ist außerdem ein Sender versteckt, damit wir Sie orten können – im Auto, das Sie von uns bekommen, ist ebenfalls einer. Wir werden mit verschiedenen Fahrzeugen an Ihnen dranbleiben.«
»Aber wird er das nicht merken?« Mithilfe eines Beamten versucht Lila, die Weste zu schließen. »Wenn ihm klar wird, dass ich nicht alleine gekommen bin wie vereinbart ...«
»Wir sorgen natürlich dafür, dass die Überwachung unauffällig abläuft«, verspricht einer der Beamten.
Es ist ein gruseliges Gefühl, ihre Mutter in einer schusssicheren Weste zu sehen – gibt es nicht noch irgendetwas für den Kopf? Was ist, wenn er versucht, ihr in den Kopf zu schießen? Doch Maja stellt die Frage nicht, sie hat Angst vor der Antwort. Stattdessen schlingt sie ihr Essen in sich hinein, fast ohne zu merken, was sie isst. Wie unwirklich sich alles anfühlt – jemand hat sie in einen Krimi gebeamt und vergessen, ihr vorher das Script zu geben.
Im Wohnzimmer der Familie Findeisen ist es inzwischen richtig voll, es riecht nach geschmolzenem Käse, und überall sitzen und stehen Leute, die aus Pappkartons essen. Stella hockt auf einer Armlehne des Sofas und versucht, einen Spritzer Tomatensoße aus dem Stoff zu reiben, Lorenzo sitzt neben Maja und wickelt gerade eine Portion Spaghetti Arrabiata auf seine Gabel. Die Polizeibeamten wollen nichts mitessen, verabschieden sich höflich und versprechen, später wiederzukommen.
Unvermittelt flötet Lilas Prepaid los und Maja hebt nervös den Kopf. Lila nimmt den Anruf an, lauscht kurz, dann springt sie auf. »Wo? Kann mich eine Streife abholen? Ich will das sehen!«
Majas Gedanken gehen in den freien Fall über. Haben sie Elias’ Leiche gefunden? »Was ist?«
Einen Moment lang ist Lilas Stimme wieder laut und kräftig. »Sie haben das Versteck aufgespürt! In dem Elias gefangen war! Aber es war niemand mehr da ...«
»Wo war das Versteck?«, will Stellas Schwester
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