Und keiner wird dich kennen
wartet Stella schon am Tor auf sie, ganz selbstverständlich gehen sie nebeneinanderher, als hätten sie nie etwas anderes getan. Wie gut sich das anfühlt. Nicht alles in ihrem neuen Leben ist mies, traurig und trostlos. Doch eigentlich weiß sie fast nichts über ihre neue Freundin, und als Stella vorschlägt: »Hey, wollen wir uns mal treffen?«, sagt Maja sofort: »Klar, gerne. Am besten bei dir, geht das?«
Stella lacht. »Wenn du dich traust.«
Fragend zieht Maja die Augenbrauen hoch. »Habt ihr einen Pitbull, oder so was?«
»Nein, nein, keine Sorge, nur zwei Katzen aus dem Tierheim. Wie wär’s mit heute Abend?«
Heute schon? Maja geht im Geist ihren Kalender durch. »Besser morgen oder so ... ich muss heute noch die Französischhausaufgaben machen, mein Referat über die Antarktis vorbereiten und ...«
»Französisch?« Stella winkt ab. »Quatsch, das brauchst du nicht machen. Judith ist gut in Französisch, sie ist die Einzige in der Klasse, die den Vokabelkram macht. Anschließend stellt sie das Ganze in Facebook ein und alle anderen schreiben ab.«
Ach so. Bevor es Maja richtig mitbekommen hat, hat sie sich schon für diesen Abend verabredet. Referat? Das muss halt warten. Die Antarktis wird nicht plötzlich abtauen deswegen.
Zum Glück ahnt Lila nichts davon, dass Maja die Schule schleifen lässt. Ihre Mutter hat sich inzwischen wieder von dem Schock neulich erholt und ist froh, dass Maja – nein: Alissa – Anschluss gefunden hat. Maja checkt auf der Karte, wo die Donaustraße ist, in der Stella wohnt. In der Nähe des kleinen Wasserkraftwerks, wie sich herausstellt. Hey, Moment mal! Das lag überhaupt nicht auf dem Weg von Bens Party zu Majas Wohnung! Im Gegenteil, Stella hat einen Umweg auf sich genommen, um sie zu begleiten. Total lieb von ihr. Hat sie gemerkt, wie es mir ging?, geht es Maja durch den Kopf. Damit ist Stella nach Ben jetzt schon der zweite Mensch, der das gespürt hat. Nicht gut. Gar nicht gut. Oder doch? Was für einen Sinn hat es, seine wahren Gefühle zu verleugnen? Sie muss nur dichthalten, was die näheren Umstände ihrer Vergangenheit angeht.
Pünktlich steht Maja in der Donaustraße und betrachtet das Haus, in dem Stella wohnt. Es sieht aus, als hätte es jemand mit einem scharfen Messer am Giebel durchtrennt und die beiden Haushälften dann ein paar Meter auseinandergerückt. Als Maja beim Namensschild Findeisen klingelt, geht sofort die Tür auf, allerdings fliegen ihr nun Gegenstände entgegen. Einen davon bekommt sie an den Kopf, den anderen kann sie ausweichen. Zum Glück sind die Geschosse weich, sie stellen sich als Hausschuhe heraus. »Gnade, Gnade!«, ruft jemand, der anscheinend hinter der Tür kauert. »Ich lästere nie wieder über dein Outfit, Su, versprochen!«
»Das ist auch besser für dich, du kleine Hexe!« Die junge Frau, die die Hausschuhe geworfen hat, wird noch einen finsteren Blick los, dann wendet sie sich ab.
»Hallo?«, fragt Maja vorsichtig, und Stella kommt hinter der Tür zum Vorschein. Sie wirkt schon wieder ganz entspannt. »Kleines Gefecht mit meiner zweitältesten Schwester Susanne. Nix passiert. Komm rein!«
Maja hebt einen Filzhausschuh auf, der auf dem Gehweg gestrandet ist, und wagt sich ins Innere des halben Hauses. Exotische Düfte wabern ihr entgegen, vermutlich kommt ein Curry auf den Tisch. Lecker.
In der Küche ist einiges los: Zwei junge Frauen, Stella und Stellas Eltern werkeln gleichzeitig dort, und zwei Katzen – eine schwarz-weiße und eine rote – wuseln zwischen ihren Beinen herum. Stella rührt in einem Riesentopf, in dem Reis vor sich hin blubbert. Bevor Maja Zeit hat, sich umzuschauen, drückt ihr eine der Frauen schon ein Messer in die Hand. »Hier. Dort auf dem Schneidebrett ist Sellerie. Viel Spaß.«
»Äh, ja«, sagt Maja und macht sich ans Werk, den Sellerie in mundgerechte Stücke zu zerlegen. Die landen in einer Pfanne, in der es schon so laut brutzelt, dass Maja nicht mehr versteht, was Stella zu ihr sagt. Jemand tritt der roten Katze versehentlich auf den Schwanz und der Geräuschpegel steigt um weitere Dezibel.
Als sie alle zusammen um den Tisch herum sitzen im gemütlichen, mit viel hellem Holz eingerichteten Wohnzimmer, wird es etwas ruhiger. Das Curry schmeckt Maja, brennt aber ganz schön im Mund.
»Zu lasch«, findet dagegen Stellas Mutter und würzt ihren Teller mit reichlich rotem Pfeffer nach.
»Gib die Reste bloß nicht den Katzen«, sagt eine der Schwestern trocken. »Außer du
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