Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und keiner wird dich kennen

Und keiner wird dich kennen

Titel: Und keiner wird dich kennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
Vom Netzwerk:
willst, dass sie Feuer spuckend durch die Wohnung rennen.«
    »Wer will den Femur inklusive Fibula?«, ruft Stellas Vater, der die Hähnchenteile verwaltet, in die Runde. Maja erinnert sich dunkel, dass ein Femur irgendwas mit dem Oberschenkel zu tun hat, also hält sie ihren Teller hin.
    Die Schwester, mit der sich Stella vorhin duelliert hat, wendet sich an Maja. »Wie findest du mein neues Styling?«, fragt sie und zeigt stolz eine Weste vor, die sie über einem weißen Top trägt – sie ist mit roten und gelben Perlen bestickt.
    »Hm ... bunt«, sagt Maja vorsichtig und wartet darauf, dass jetzt auch in ihre Richtung Gegenstände fliegen. Heiße Gegenstände, wenn sie Pech hat.
    »Das Ganze sieht ein bisschen aus wie der Patient, den ich heute in der Praxis hatte«, ergänzt Stellas Vater ungerührt. »Schwere Akne mit Eiterpickeln. Bei dem hat sich Propionibacterium acnes so richtig wohlgefühlt. Leider hatte er sich angewöhnt, die Pickel auszudrücken, sodass der Eiter ...«
    Majas Appetit ist nicht mehr, was er mal war. Doch die anderen scheinen sich an den Berichten überhaupt nicht zu stören, sie schaufeln munter das Curry in sich hinein. Wahrscheinlich sind sie seine Praxisgeschichten längst gewöhnt.
    »Immerhin, man sieht neben den Perlen die Essensflecken nicht so«, lästert Stella und kommt damit auf das Thema Weste zurück.
    »Okay, okay, ich hab’s kapiert! War zum Glück nur Second Hand!«, schreit Su, zieht sich die Weste aus und schleudert sie in eine Ecke, in der es sich zufällig gerade die schwarz-weiße Katze bequem gemacht hat. Die Katze ist nicht begeistert. Schlecht gelaunt bohrt sie die Krallen in den Stoff, bis Su es sich überlegt und ihrer Weste zu Hilfe eilt.
    »Na, und was hat unsere Kleine heute in der Schule angestellt?«, fragt die zweite Schwester in schleimig-freundlichem Ton.
    »Ach, nichts, wir haben alle brav unsere Milch getrunken«, gibt Stella im gleichen Ton zurück. »Ärger gab es nur, als sie uns die Schnuller wegnehmen wollten.« Zu Maja sagt sie: »Das hier ist übrigens Hannah. Fühlt sich wahnsinnig toll, weil sie schon studiert und Leichen sezieren darf.«
    »Äh, toll«, sagt Maja und ist sicher, dass Hannah von diesen Erlebnissen garantiert auch schon ausführlich beim Abendessen erzählt hat. »Dann kannst du bestimmt gut mitreden, wenn ihr CSI schaut, oder?«
    Stella ächzt. »Das gucken wir gar nicht mehr, weil Hannah ständig klugscheißerische Bemerkungen macht!«
    Jetzt wendet sich Stellas Mutter an Maja, sie lächelt freundlich. »Ich habe gehört, deine Mutter will Autorin werden. Hat sie denn schon mal etwas veröffentlicht?«
    Das hat sich aber schnell herumgesprochen. Maja kann sich nicht erinnern, es Stella erzählt zu haben, nur Ben und seiner Clique. Wahrscheinlich war es Partygespräch. »Nein, leider nicht. Aber sie schreibt richtig gut und hat ihren Roman bald fertig.«
    »Es ist sicher nicht ganz leicht, davon zu leben«, sagt Stellas Mutter höflich und spricht damit auch Majas Befürchtungen aus.
    »Wo habt ihr denn vorher gewohnt? Und wie lange wart ihr dort?«, will Su, die zweitälteste Schwester, wissen.
    Das »Offenbach« liegt Maja schon auf den Lippen, doch sie erinnert sich rechtzeitig an die Tarngeschichte. »Gießen. Wir haben drei Jahre lang in Gießen gelebt«, sagt sie, noch immer fällt ihr das Lügen nicht leicht.
    Da so viele Leute anpacken, geht das Ab- und Aufräumen richtig fix. »Fertig«, seufzt Stellas Mutter. Dann legt sie den Arm um Stella, es sieht fürsorglich aus. »Wie fühlst du dich? Alles in Ordnung?«
    Stella windet sich aus der Umarmung. »Ja, klar. Alles okay. Wir gehen jetzt rauf. Kommst du, Maja?«
    Na, mit ihrer Mutter versteht sich Stella anscheinend nur begrenzt. Aber so ist das eben manchmal mit Müttern.
    Maja stellt fest, dass sie diese schräge Familie mag, ihr gefällt die Herzlichkeit, die sie hier spürt. Muss schön sein, einen Vater zu haben, der mit der Familie lebt – sie selbst kann sich kaum daran erinnern, wie das ist. Weiß Stella, wie viel Glück sie hat?
    Später, als sie hochgegangen sind in Stellas Zimmer – in dem es kaum Möbel gibt, sondern hauptsächlich bunte Sitzkissen und eine Matratze mit Tagesdecke drüber –, meint Stella: »Du kannst froh sein, dass du nur einen kleinen Bruder hast. Große Schwestern sind die Pest, ich sag’s dir. Aber ich revanchiere mich, so gut es geht. Als ich zwölf war, haben sie hier gefeiert und mich nicht eingeladen. Ich war stinksauer

Weitere Kostenlose Bücher