Und keiner wird dich kennen
bleibt nur der bittere Geschmack von Asche in ihrem Mund.
Es macht Maja Sorgen, dass sie und ihre Mutter sich beide verplappert haben. Beide hatten sie Angst davor, dass Elias das schwächste Glied der Kette sein würde, aber bisher schlägt sich Elias von ihnen dreien am besten. Es scheint fast so, als habe er ihr altes Leben vergessen. Oder redet er nicht darüber, weil es so schlimm für ihn war, all seine Sachen zu verlieren? Wohl kaum. Das neue Vulkanmodell ist fast fertig.
»Komm, wir gehen shoppen, alle drei«, schlägt Lila am nächsten Nachmittag vor, streicht sich eine blonde Strähne aus der Stirn und lächelt Maja an. »Finn wächst gerade aus seinen Hosen heraus und du könntest auch so einiges gebrauchen, oder? Uns fehlen noch so viele Sachen.«
Maja weiß, dass es ein Friedensangebot ist. Und weil sie ein schlechtes Gewissen hat wegen dieser Sache mit ihrem angeblichen Wohnort in Gießen, nickt sie, obwohl die Wut noch immer in ihrer Magengrube brodelt. Immerhin, Stella hat heute in der Schule auf die Neuigkeiten mit der Partybremse cool reagiert mit einem »Halb so wild. Dann besuche ich dich eben, das kriegen wir schon hin.«
Leider hat ihre Mutter keinen Shopping-Ausflug nach München im Sinn, sondern nur einen zur Olchinger Innenstadt. Bis dorthin sind es fünf Minuten mit dem Rad durch den Wald. Sie schlendern an den Geschäften, Klamottenläden, Apotheken und Bäckereien vorbei, kaufen eine neue Trinkflasche für Elias, Küchenkram, der ihnen noch gefehlt hat, braune Lederstiefel für Maja und einen Schlüsselanhänger für Lila. Als Elias auf den Betonquadern des Nöscherplatz-Brunnens herumspringt, bemerkt Maja Paloma, die gerade mit einer anderen Freundin vorbeigeht, und ruft ihr ein »Hi!« zu.
Doch was betrachtet Paloma so neugierig, warum flüstert sie mit ihrer Freundin, während sie in ihre Richtung blickt? Maja wendet sich suchend um und bemerkt erschrocken, dass etwas mit ihrer Mutter nicht stimmt. Lila ist leichenblass, ihre Augen sind weit aufgerissen und blicken starr geradeaus. Selbst durch ihre dicke Winterkleidung sieht man, dass sie am ganzen Körper zittert.
Maja legt einen Arm um sie, versucht, sie aus ihrer Starre zu reißen. »Mama! Was ist los?«
»Dort vorne ...«, stammelt Lila und klammert sich an Majas Arm, sodass es fast wehtut. »Eben gerade ...«
Ein eisiger Schauer überläuft Maja. »Hast du etwas gesehen? Was hast du gesehen? Wen?«
Allmählich atmet Lila ruhiger. »Ich ... dort hinten ...«
»Was war eben? Mama!« Jetzt ist es Maja, die beunruhigt ist, der die Angst fast die Luft abschnürt.
Lila schüttelt den Kopf, versucht ein Lächeln. »Dort hinten, an der Kirche, ist eben ein Mann vorbeigegangen ... der sah von hinten genauso aus wie Robert ...« Sie schluchzt auf. »Aber dann hat er sich umgedreht. Er ist es nicht. Gott sei Dank, er ist es nicht.«
Jetzt ist auch Elias herangekommen, er blickt besorgt drein. »Was ist, Mama?«
»Nichts«, sagt Lila prompt und versucht ein Lächeln.
»Bist du ganz sicher, dass er es nicht war?«, drängt Maja. Ihr Blick sucht mit den Augen nach der Gestalt, die vorhin dort entlanggegangen ist. Längst weg natürlich. »In den letzten drei Jahren hat er sich vielleicht verändert ...«
Fast schon verärgert lässt Lila ihren Arm los. »Ich werde ja wohl meinen verdammten Exfreund erkennen! Ja, er war es nicht und wir gehen jetzt weiter, vamos ! Maja, wie wäre es mit einer neuen Hose?«
Maja reagiert nicht, der Umschwung von panischer Hilflosigkeit zu Aktionismus irritiert sie. Jetzt lieber erst mal durchatmen. Ganz unbekannt sind ihr solche Zwischenfälle nicht, vor ein paar Jahren gab es sie öfter. Es reichte, dass Lila ein Auto entdeckte, das wie das von Robert Barsch aussah, oder einen flüchtigen Hauch des Herrenparfüms roch, das er getragen hatte. Dann kam die würgende Angst zurück.
Majas Blick fällt auf ihre beiden Klassenkameradinnen. Paloma und das andere Mädchen stehen noch immer da, keine fünf Meter entfernt, sie haben alles höchst interessiert beobachtet. Fuck – wer weiß, was sie jetzt in der Schule herumerzählen werden!
»Kommt, wir gehen nach Hause«, sagt Maja gepresst zu ihrer Familie, und Lila und Elias folgen ihr, ohne zu widersprechen.
Auf der Hut
Was wird Stella wohl über Majas Zuhause denken? Wird sie Witze reißen über die hässliche grüne Fassade und darüber, dass Maja kein eigenes Zimmer hat? Wo werden sie sich überhaupt aufhalten, sollen sie im Wohnzimmer
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