Und keiner wird dich kennen
Portemonnaie zu bergen. Als er wieder hochkommt, hält er es in beiden Händen wie eine Reliquie.
»Na los, gib es ihr wieder, sie wird garantiert dankbar sein«, drängt ihn Lorenzo, damit sein Freund nicht einfach staunend da sitzen bleibt. Cedrics Reaktionszeiten sind manchmal länger als die Fernsehwerbung.
»O ja, ja, natürlich«, stammelt sein Freund, schießt hoch und geht Liliana mit raschen Schritten nach, die Geldbörse in der Hand. Halleluja! Jetzt muss er sich trauen, sie anzusprechen, er hat eigentlich keine Wahl.
Ja, er macht es, und Liliana sagt sehr freundlich zu Cedric: »Oh, danke, habe ich das wirklich verloren? Das habe ich überhaupt nicht gemerkt!«
Es ist die schlechteste schauspielerische Leistung, die Lorenzo je gesehen hat, ungefähr so glaubwürdig wie ein alternder TV-Star, der für Gummibärchen wirbt. Aber Cedric strahlt, als Liliana und Natascha jetzt sogar mit ihm zusammen auf ihren Mensatisch zuschlendern und fragen: »Dürfen wir uns zu euch setzen?«
Eigentlich hat Lorenzo keine große Lust, mit Natascha zu reden, doch schon sagt Cedric atemlos: »Na klar, macht es euch bequem, wünscht ihr noch irgendeine Erfrischung?«
Lorenzo verdreht die Augen. Zurzeit liest Cedric eindeutig zu oft die mittelalterlichen Minnesänger. Doch die Girls schaffen es, nicht zu kichern, verneinen nur höflich. Natascha setzt sich neben Lorenzo und lächelt ihn an, was Lorenzo so gut es geht ignoriert. Ob sich das mit dem Shooting schon herumgesprochen hat? Immerhin, blöde Bemerkungen gab es noch keine.
»Wir gehen morgen ins Kino, kommt ihr mit?«, fragt Natascha. »Ich, Liliana und noch ein paar andere Leute ...«
Hoffentlich bekommt Cedric jetzt keinen Herzanfall. »Vielleicht – ich hab leider nicht viel Zeit, weil ich abends so oft Pizzas ausfahre«, sagt Lorenzo. »Wir sagen euch Bescheid, okay?« Zum Glück nickt Cedric einfach nur und ruft nicht hechelnd Ja! Ja! Ja! . Oder vielleicht hat es ihm die Sprache verschlagen.
Liliana ist anscheinend entschlossen, Small Talk zu machen. »Wie geht eigentlich deine Suche nach Maja voran?«, fragt sie. Interessiert sie das wirklich? Sie und Maja haben keine zehn Sätze miteinander geredet vor ihrem Verschwinden. Während Lorenzo noch überlegt, was er darüber preisgeben will, meldet sich Cedric zu Wort. »Lorenzo hat Kontakt zu einem Polizeibeamten, der die Suche koordiniert«, erklärt er wichtigtuerisch, und Lorenzo sieht sich gezwungen zu nicken. Schnell fügt er hinzu: »Aber der Typ ist ziemlich unsympathisch, ich weiß nicht, ob ich den noch mal anrufe.«
»Ach, war das die Nummer, die in deinem Zimmer an der Pinnwand hing mit der Notiz ›Polizei‹?«, fragt Natascha, und Lorenzo fragt sich, wer zum Teufel ihr die Erlaubnis gegeben hat, an seiner Pinnwand herumzuspionieren.
Lorenzo nickt widerwillig und muss an die Bemerkung des Detektivs denken. Hast du mal darüber nachgedacht, dass sie vielleicht einen guten Grund hatte, zu verschwinden?
Auch Cedric scheint das gerade durch den Kopf zu gehen. »Es könnte sein, dass Maja gar nicht gefunden werden will«, erklärt er den neugierig lauschenden Mädels. »Wer weiß, was für ein düsteres Geheimnis ihre Familie hatte ... womöglich ist es besser, wenn die Polizei nicht weiß, wo sie jetzt ist ...«
Zum Glück läutet es gerade zur nächsten Stunde. Nachdem sich Natascha und Liliana verabschiedet haben, kann Lorenzo endlich seiner Wut freien Lauf lassen. »Sag mal, was wolltest du denen eigentlich noch alles auf die Nase binden? Meine Schwanzlänge? Das Gehalt deines Vaters?«
»Entschuldige vielmals.« Cedric wirkt ehrlich betroffen. »Mir war nicht klar, dass das mit Maja so geheim ist.«
Lorenzo ist etwas besänftigt. »Ist es auch nicht. Aber für die sind das nur Zutaten für die Gerüchteküche. Dafür ist mir Maja zu schade.«
Cedric seufzt tief. »Wie sagte schon Konfuzius: Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer .«
Lorenzo bringt keine Antwort heraus. Wird Maja wirklich eines Tages zu ihm zurückkommen? Glaubt er selbst überhaupt noch daran?
Er weiß es nicht mehr.
»Wieder eine Absage«, berichtet Lila beim Abendessen, kurz bevor sie mal wieder zu ihrer Schicht in der Kneipe aufbricht. »Jetzt haben schon fünf Literaturagenten, die ich angeschrieben habe, sich gemeldet. Zwei sagen, sie nehmen gerade keine weiteren Autoren unter Vertrag, der dritte meint, er sehe da keine Vermittlungschancen, dem vierten gefällt das Thema
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