Und keiner wird dich kennen
nicht, und der fünfte war sauer, dass ich das Material an mehrere Agenten gleichzeitig geschickt habe. Anscheinend gehört sich das nicht.«
»Einer der anderen beißt bestimmt an«, meint Maja und wickelt lustlos ein paar Spaghetti um ihre Gabel.
Lila steht auf, gibt Maja und Elias einen Kuss auf die Wange und zieht ihre Jacke über. »So, ich muss los. Lass ihn nicht zu lang aufbleiben, ja?«
Apathisch schüttelt Maja den Kopf. Nachdem sie das Umziehen und Zähneputzen beaufsichtigt hat, liest sie Elias eine Geschichte vor und geht dann mit ihrem Laptop rüber ins Wohnzimmer. Wieder keine Nachricht von Stella. Nur Johanna hat ihr eine Mail geschrieben, Maja freut sich, doch dann sieht sie, dass es nur wenige Zeilen sind. Ein weitergeleiteter Link. Und die neugierig-mitfühlende Frage, was denn neulich in der Stadt passiert sei, Paloma hätte so was erzählt ...
Maja schreibt keine Antwort. Sie fühlt sich unendlich erschöpft, sie will einfach nur zurück nach Hause. Und ihr Zuhause ist nicht hier, nein, das ist es absolut nicht. Was sie jetzt hat, ist doch kein Leben, sondern nur ein Komposthaufen der Träume – alles hier ist ihr fremd und all diese Leute können sie mal! Wieso war mir eigentlich nicht klar, wie toll mein altes Leben war? Habe ich dreimal täglich Dankgebete dafür gesprochen? Habe ich versucht, es mit aller Kraft zu genießen? Habe ich Lorenzo oft genug gesagt, dass ich ihn liebe? Nein, habe ich nicht!
Klar, sie haben viel geopfert, um sich dieses neue Leben aufzubauen. Aber was ist so ein neues Leben überhaupt wert, wenn darin weder echte Freundschaften noch Liebe möglich sind? Es wird immer wieder das Gleiche passieren, denkt Maja bitter . Ich werde Menschen finden, die mir etwas bedeuten – und wenn sie merken, dass ich nicht offen mit ihnen bin, werden sie sich von mir abwenden!
Wütend zappt sie sich durch die Fernsehkanäle, schaltet wieder ab, beginnt ziellos herumzusurfen. Checkt Johannas Link und schaut einen witzigen YouTube-Film, stöbert auf einem News-Portal und landet schließlich in einem Forum, in dem über die Occupy-Bewegung diskutiert wird. Ein Dutzend Teilnehmer sind gerade online.
Und da sieht sie ihn. Windseeker23. Sie erkennt den Nick sofort, Lorenzo benutzt ihn schon seit Jahren.
Majas Herz beginnt zu rasen, sie bekommt keine Luft mehr. Ihre Finger schweben wie gelähmt über den Tasten.
Lorenzo . Das ist Lorenzo!
Und er ist ganz nah. Ganz nah. Nur einen Tastendruck entfernt.
Versuchung
Die Sehnsucht überfällt Maja wie ein Raubtier aus dem Hinterhalt. Mit ihm reden. Nur ein einziges Mal. Ihre Finger legen sich auf die Tastatur, hasten los. Erst muss sie sich im Forum anmelden, warum geht das nicht schneller, verdammt? Welchen Nick soll sie nehmen? Keinen von früher natürlich, er darf nicht wissen, dass sie es ist. Schließlich entscheidet sie sich für GoldenEyes , kurz darauf ist sie angemeldet und darf mitdiskutieren.
Rasch lässt Maja geistig Revue passieren, was sie über die Occupy-Bewegung weiß. Entstanden ist sie aus der Empörung über die Gier der Wall-Street-Banker und darüber, dass der Reichtum in der Welt immer ungleicher verteilt ist. Da gab es doch diesen Versuch, die Wall Street zu belagern, sie kann sich an die Fotos von Zelten in irgendeinem New Yorker Park erinnern ...
Lorenzo schreibt unter seinem Windseeker-Nick gerade: das wäre wirklich cool, wenn die proteste auch hier in deutschland fuss fassen könnten, aber wollen die leute das hier wirklich?
Wieso nicht? Auch in Deutschland verzocken die Banker Milliarden, ohne dass ihnen viel passiert, während eine Kassiererin ihren Job verliert, weil sie angeblich einen Pfandbon mit irgendeinem Minibetrag für sich behalten haben soll. Maja schreibt zurück : Es gibt bestimmt auch hier einige, die die Nase voll haben. Aber kann auch sein, dass es den Leuten hier noch zu gut geht.
Gespannt beobachtet sie den Bildschirm.
Windseeker23: vielleicht haben sie das gefühl, dass sie zu viel zu verlieren haben.
Kuckucksei: Boah, aber hallo, fat cats und alle ihr Häuschen im Grünen! :-X
Juli444: aber immerhin, da in Frankfurt ist was gelaufen ...
Kuckucksei: Ein paar Hundert Leute, ey, das ist nicht richtig viel! Viel ist was anderes!!!
GoldenEyes: Vielleicht liegts daran, dass es in D sehr viele alte Leute gibt ... die sind nicht mehr idealistisch und riskieren ungerne was ...
Windseeker23: stimmt, da ist was dran. aber was meinst du, goldeneyes, lassen die sich noch
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