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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zugeteilt und
hatte — bis jetzt — Freude an seinem Beruf. Nach relativ guten Noten in seinem
relativ anspruchslosen Mittelschulabschluss hatte er in einem Supermarkt Regale
nachgefüllt, in einem Krankenhaus Dienst an der Pforte gemacht, hinter dem
Tresen eines Pubs und hinter dem Ladentisch einer Eisenwarenhandlung gestanden
und schließlich im Rahmen einer Werbeaktion der Polizei einen Fragebogen
ausgefüllt und dadurch von den Chancen in seinem derzeitigen Beruf erfahren.
Diese Chancen hatte er genutzt und seine Wahl nicht bereut. Manchmal kam er
sich echt wichtig vor, besonders wenn er ein kleineres Problem auf eigene Faust
lösen musste und dabei dann tatsächlich eine wichtige Rolle spielte. Besonders
aber freute er sich auf den ersten großen Job in einem bedeutenden Fall. Einem
Mord beispielsweise. Und jetzt war es soweit, das spürte er, sobald er mit
seinem Van auf den Parkplatz Gloucester Green rollte. Er konnte davon ausgehen,
dass das komplette Team im Einsatz war, und mit ziemlicher Sicherheit würde er
zum ersten Mal erleben, wie man in der Praxis mit jenen drei Hauptforderungen —
Sicherung des Tatorts, Sicherung und sorgsamste Behandlung von Beweismitteln —
umging, die bei seiner Ausbildung in Fotografie, Daktylographie,
Gerichtstechnik und dem akribischen Prozedere vor Ort eine so große Rolle
gespielt hatten.
    Edwards hatte sich sofort
Sergeant Lewis vorgestellt, der als der einzige Beamte in Zivil offenbar die
Ermittlung leitete, wenn auch womöglich nur vorübergehend. Vermutlich war es
nur eine Frage der Zeit, bis ein Vorgesetzter auftauchte, so wie auch er Bill
Flowers, den Leiter der Spurensicherung, erwartete, einen Mann, der — im Gegensatz
zu Barry Edwards — schon alles im Leben gesehen hatte. Die ersten
vorgeschriebenen Schritte aber waren schon eingeleitet. Blauweißes Absperrband
riegelte drei Autos ab, die alle mit der Nase zur Wand standen: In der Mitte
der R456LJB, zu seiner Linken ein relativ neuer grauer Citroën, zu seiner
Rechten ein dunkelblauer Rover, dessen Besitzer gerade eingetroffen war und der
bei einem der beiden vom Revier St. Aldate herbeigerufenen uniformierten
Polizisten seine Aussage zu Protokoll gab. Noch hatte niemand Anstalten
gemacht, die rasch anwachsende Menge der Schaulustigen zu zerstreuen, die stumm
und hoffnungsvoll grausiger Entdeckungen harrte. Dann aber gerieten die Dinge
in Bewegung. Flowers traf ein, kurz nach ihm kamen die anderen beiden Kollegen des
Tatortteams. Es konnte losgehen, sobald jemand den Startschuss gab. Auf diesen
Jemand wartete offenbar Sergeant Lewis, dessen redliches Gesicht deutlichen
Respekt vor der noch unsichtbaren Obrigkeit verriet.
    Die Geduld aller Beteiligten
wurde dann noch zwanzig Minuten auf die Probe gestellt. Erst dann entstieg
einem Dienstwagen eine erstaunlich schwunglose «Obrigkeit». Der schiefergraue
Anzug war voller Knitterfalten, der verräterische Wulst über dem Hosenbund ließ
auf eine erhebliche Gewichtszunahme in den letzten Monaten schließen. Der
Neuankömmling war weißhaarig und mittelgroß, das Gesicht mehr gelb als braun,
als habe er im Torremolinos-Urlaub zu wenig Sonne getankt oder laboriere an
einer beginnenden Hepatitis. Die Stimme aber war die eines Menschen, der
unbedingte Aufmerksamkeit erwartet, und erinnerte Edwards an die seines
Lateinlehrers.
    Vox auctoritatis.
    Lewis war auf ihn zugegangen,
und die beiden wechselten ein paar Worte, ehe sie zu den anderen traten. Chief
Inspector Morse (denn um diesen handelte es sich) schien die anderen Kollegen
von der Spurensicherung zu kennen und nickte kurz, als ihm das jüngste Mitglied
des Teams vorgestellt wurde.
    «Hallo, Edwards!» Demnach,
konstatierte dieser, hatte sich der Chief Inspector noch nicht zu dem inzwischen
weit verbreiteten Brauch durchringen können, alle und jeden —Vorgesetzte,
Kollegen und Untergebene — mit dem Vornamen anzureden. Trotzdem wirkte er
durchaus sympathisch, als er sich jetzt mit scharfem Blick, wenn auch leicht
melancholischer Miene umsah, während die Leute von der Spurensicherung ihre
grünen Overalls und Überschuhe anzogen.
    «Hat jemand was angefasst?»
    «Nur soweit nötig, Sir»,
antwortete Lewis.
    Morse betrachtete gedankenvoll
den Wagen, dem er gefolgt war, nachdem sich die Tore der Justizvollzugsanstalt
Bullingdon für Harry Repp geöffnet hatten. Dann sah er hoch und betrachtete
ebenso gedankenvoll das Wirtshausschild des irischen Pubs Rosie O’Grady.
    Bill Flowers hatte sich neben
ihn

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