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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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«Wir müssen
warten, bis wir wissen, was es mit all den Stäubchen und Fäserchen auf sich
hat, die sie da draußen gerade eintüten und beschriften und an die
Gerichtsmedizin schicken. Und mit den Fingerabdrücken, die sie an Fenstern und
Rückspiegeln und der Karosserie sichern, an Gurtschnallen und Kassetten und...»
Mehr Möglichkeiten fielen Morse im Moment nicht ein.
    «Ja, genau», sagte Strange
etwas ermutigt. «Sie brauchen nur fünfundneunzig Prozent aller Abdrücke zu
eliminieren, dann haben Sie Ihren Mann.»
    «Es sei denn, er hätte
Handschuhe getragen», ergänzte Lewis.
    «Das hängt alles mit dieser
verdammten Sache in Lower Swinstead zusammen», platzte Strange heraus.
    «Da haben Sie vermutlich
Recht», sagte Morse.
    «Und vergessen Sie nicht, dass
die simpelste Lösung gewöhnlich die richtige ist. Die meisten Morde werden im
Affekt begangen, das wissen Sie so gut wie ich.»
    «Mag sein.» Morse winkte den
Wirt heran. «Sie haben den ganzen Tag geöffnet?»
    «Und die ganze Nacht, wenn Sie
wünschen, Sir.»
    Ja, natürlich könne die Polizei
für diesen Abend einen der Gasträume haben. Natürlich könne die Polizei auch
sonst alles nutzen, was das Rosie O’Grady zu bieten hatte — Telefon,
Toiletten, Waschgelegenheit, Trinkgelegenheit...
    «Und vielleicht...» Der Wirt
deutete auf die beiden leeren Gläser. «Vielleicht einen Drink auf Kosten des
Hauses?»
    «Na ja, also...», sagte
Strange.
    «Ehe ich mich schlagen
lasse...», sagte Morse.
    «Drei Pint Guinness», bestellte
Lewis.
    Morse sah seinen Sergeant
verwundert an. Der Wirt entfernte sich, und Strange wurde dienstlich.
    «Reden wir über Logistik,
Morse. Wie viele Leute brauchen Sie?»
    «Und wenn Sie mir hundert geben
würden — im Augenblick könnte ich mit keinem Einzigen was anfangen.»
    «Jetzt machen Sie aber
halblang! Wie war’s denn, wenn Sie sich mal mit der Frage beschäftigen würden,
was Ihre verdammten Leichen wann, wie und wo gemacht haben? Wenn Sie ihre
Verwandten, Freunde, Feinde, Frauen befragen würden, Herrgott noch mal?»
    «Flynn hatte keine Frau», warf
Lewis ein.
    «Aber Repp.»
    «Nein, Sir», verbesserte Lewis.
«Er hatte eine Lebensgefährtin.»
    «Und die werden wir uns jetzt
vornehmen», schnauzte Strange.
    «Nein», sagte Morse. «Ich werde
sie mir selber vornehmen.»
    «Warum das?»
    «Ich habe meine Gründe.»
    Der Wirt brachte das Bier.
«Geht aufs Haus, die Herren.»
    Morse dankte ihm und hatte
gleich noch eine Bitte.
    «Diese — äh — Musik, die da
läuft, diese irische Musik...»
    «Wenn Sie wollen, kann ich...»
    «Ja, machen Sie sie ein
bisschen lauter.»
    Lewis warf dem Chief Inspector
einen verwunderten Blick zu. Der Wirt zog ab. Und Strange lehnte sich zufrieden
zurück. «Freut mich, Morse, dass Sie das gesagt haben. Ich und meine Frau...
wir waren mal ein paar Tage in Cork und haben da nach irischer Musik getanzt.
Meine Frau und ich, würden Sie wohl sagen...»
    Aber ehe diese wichtige Frage
ausdiskutiert werden konnte, kam Dr. Laura Hobson herein.
    «Alles in Ordnung?», rief
Strange ihr über die plötzlich in den Vordergrund drängende Hintergrundmusik
zu.
    «Nichts ist in Ordnung. So wie
es draußen steht, krieg ich die Sache nicht in den Griff. Ich muss darauf
bestehen, dass der Wagen mit der Leiche im Kofferraum ins Labor geschafft
wird.Wie kann ich denn sonst...»
    «In Ordnung.» Strange hob die
rechte Pranke. «Lewis kümmert sich darum. Sobald er sein Bier ausgetrunken hat.
Setzen Sie sich, Kollegin. Lassen Sie mir noch ein, zwei Minuten Zeit.» Er
lehnte sich zurück und strahlte wie ein gütiger alter Onkel.
    «Das sind so Erinnerungen,
Morse...»
    «Wissen Sie noch, wie es in dem
alten Gedicht heißt, Sir? Sie rufen
und tanzen gleich Wellen im Meer ...»
    «Ja», sagte Strange leise. «Ja,
ich weiß.»
    Und Sergeant Lewis und Dr.
Laura Hobson hüteten sich, die Träume, die durch den Raum zogen, durch laute
Worte zu stören.

Kapitel
34
     
    Sunt
lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt (Es gibt immer Tränen in der Welt,
und menschliches Leiden ergreift stets das Herz)
    (Vergil,
Aeneis I, 462)
     
    Als sie die Tür öffnete,
verriet das Haar mit der frisch aufgetragenen Blondierung überhaupt nicht mehr,
dass hier eine einstmalige Brünette stand.
    «Ach, Sie sind’s.» Das klang
wenig begeistert.
    «Darf ich hereinkommen?»
    Bis auf ein knapp bemessenes
Handtuch, das sie vor ihren Körper hielt, war sie nackt. «Momentchen, ich...»
    Sie

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