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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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nicht mal die beiden Alten mit dem guten Gehör mitgekriegt.
     
     
     
     

Kapitel
38
     
    Alle
Menschen sind Rätsel, bis wir endlich in irgendeinem Wort oder irgendeiner Tat
den Schlüssel zu dem Mann oder der Frau finden; mit einem Schlag liegen dann
all ihre früheren Worte und Taten vor uns im Licht.
    (Emerson, Journals)
     
    Fast die ganze Woche hatte
Lewis einen Sechzehnstundentag gehabt. An dem Sonntag aber, der auf die im
vorigen Kapitel geschilderten Ereignisse folgte, hatte er sich ausschlafen
können und war wieder völlig frisch, als er montags um 7 Uhr 45 im Präsidium
eintraf. Morse war noch nicht da, aber das schadete nichts. Was sie brauchten,
waren Fakten, keine Phantastereien. Noch nicht jedenfalls. Und während er die
Aktivitäten der letzten Woche Revue passieren ließ, war Lewis rundum zufrieden
— sowohl mit sich als auch der Leistung der Mitarbeiter, die man ihm
bereitwillig für den Fall zur Verfügung gestellt hatte. Sie hatten viel Arbeit
gehabt.
    Lewis selbst hatte die
Ermittlungen geleitet, die sich am Montag und Dienstag mit den Aktivitäten von
Paddy Flynn in den Jahren, Monaten und Tagen bis zu dem Vormittag seiner
Ermordung beschäftigt hatten. Das Ergebnis war vielleicht ein bisschen
enttäuschend, aber niemand konnte ihnen nachsagen, dass sie nicht gründlich
ermittelt hätten. Flynn hatte im oberen Stockwerk eines Hauses in der Morrell
Avenue gewohnt, das vor ein paar Jahren in zwei Wohnungen aufgeteilt worden
war. Knapp über fünf Monate hatte er dort 375 Pfund Miete pro Kalendermonat
bezahlt. Mit dem Mieter der unteren Wohnung hatte er praktisch keinen Kontakt
gehabt. Besagter Mieter war ein Buchhalter in mittleren Jahren, der bei Wind
und Wetter tagtäglich zu Fuß die St. Clements hinunter über die Magdalen Bridge
und die High Street zu seiner Firma in der King Alfred ging. Natürlich kannte
er Flynn vom Sehen, wechselte aber allenfalls mal ein Wort mit ihm, wenn sie
sich auf dem schmalen Hausflur trafen. Wie Flynn lebte und womit er sich
beschäftigte, wusste er nicht. Schön, eine kleine Beobachtung vielleicht: Nicht
selten hatte vor der Doppelhaushälfte ein Wagen gestanden — immer ein anderer
—, und fast immer war er am nächsten Morgen weg gewesen. Lewis hatte notiert:
«Fs berufliche Tätigkeit und seine Freizeitaktivitäten sind ihm unbekannt.» Für
den Fall, dass die Notizen Morse unter die Augen kamen, hatte er wegen der
«Freizeitaktivitäten» vorsichtshalber das stets bereitliegende Lexikon
konsultiert.
    Nach allen vorliegenden
Aussagen hatte Flynn ziemlich zurückgezogen gelebt. Man hatte ihn recht häufig
in den Gastwirtschaften am Ort und beim örtlichen Buchmacher gesehen, er hatte
es aber offenbar weder beim Trinken übertrieben noch übertrieben hohe Verluste
beim Wetten gemacht. Die Polizei konnte auch nicht die kleinste Gaunerei gegen
ihn ins Feld führen, allerdings tauchte sein Name in mehreren Berichten als der
des Taxifahrers auf, der in der Nacht, in der Yvonne Harrison ermordet worden
war, Frank Harrison am Bahnhof in Oxford aufgenommen hatte. Damals hatte er bei
der Firma Radio Taxis gearbeitet, die sich aber wegen des Verdachts, er habe
zwecks persönlicher Bereicherung Fahrten falsch abgerechnet, von ihm getrennt
hatte — allerdings war das auf beiden Seiten ohne Groll und ohne
arbeitsgerichtliche Schritte geschehen. Auch die Firma Maxim Removals, ein
Umzugsunternehmen, hatte sich von ihm getrennt «wegen versuchter
Tachometermanipulation» (dieses Wort hatte Lewis auf Anhieb richtig eingetippt,
weil er es vorher nachgeschlagen hatte). Das war jetzt fünf Monate her, und
seitdem hatte sich Flynn regelmäßig beim Sozialamt in der George Street
gemeldet. Da er aber keine Zeugnisse über seine bisherige Führung oder
einschlägige Qualifikationen vorweisen konnte, waren seine Bemühungen, wieder
eine Stellung im Transportgewerbe zu bekommen, erfolglos geblieben. Seine
Bewerbungsbogen waren meist nicht einmal unter «ferner liefen» abgelegt worden.
Das alles sei recht betrüblich, bemerkte die Dame, die mit dem Vorgang Flynn
befasst war.
    Vor sieben Jahren, mit
zweiunddreißig, hatte er Josie Newton geheiratet und besagter Dame zu zwei
Töchtern verholfen, obschon — wie ein Bruder in Belfast aussagte — die
Sprösslinge in Temperament, Haar- und Hautfarbe und geistigen Fähigkeiten
derart unterschiedlich waren, dass Zweifel an der gemeinsamen Vaterschaft
vielleicht nicht unbillig waren.
    Josie Flynn hatte zu einem
«Charakterprofil»

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