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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ins
Präsidium brachte.
    Nachdem er im Büro noch einmal
die Ergebnisse der beiden Obduktionen überflogen hatte, kam Morse erneut zu dem
Schluss, dass es für ihn keinen Sinn hatte, sich mit den physiologischen
Details der bei den Toten festgestellten Verletzungen im Magen-Bauch-Bereich
herumzuschlagen. Sein Interesse an Mägen war minimal, ja, es war wohl nicht
übertrieben zu behaupten, dass Mägen ihm auf den Magen schlugen. Der neunfache
Magen der Rindviecher war ihm dank seiner Kreuzworträtsel vertrauter als das
einfache menschliche Gegenstück. War es denn so wichtig, genau zu wissen, wie
die Herren Flynn und Repp zu Tode gekommen waren? Aber ja, gewiss doch. Wenn
die technischen Einzelheiten auf eine bestimmte Art von Waffe hindeuteten, wenn
die Waffe präzise identifiziert und dann gefunden werden konnte, wenn man sie
schließlich bis zu einem Mitbürger zurückverfolgen konnte, von dem bekannt war,
dass er so eine Waffe besessen und die Gelegenheit gehabt hatte, sie am Tag des
Mordes zu benutzen...
    Halt, Morse! Immer fair
bleiben! Hatte nicht Dr. Laura Hobson — wenn auch unter Vorbehalten — auf einen
ganz bestimmten Typ von Waffe hingedeutet? Er suchte noch einmal nach dem
Abschnitt mit der Überschrift «Vorläufige Schlussfolgerungen».
     
    Das
Messer war vermutlich nicht sehr lang, möglicherweise nicht länger als 15-22
cm, da in beiden Fällen die Verletzungen durch gewaltsame Drehung entstanden,
als habe der Mörder einen kurzen, festen Griff umfasst, der nicht viel breiter
als 2,5-3,7 cm gewesen sein kann. Die Messerklinge war mit ziemlicher
Sicherheit ebenfalls kurz (ca. 3,7 cm?), aber sehr scharf mit einer dreieckigen
Spitze ().
Zu denken wäre an ein so genanntes Stanley-Messer, das in Heimwerkerkreisen
gern für Schreiner- und Maurerarbeiten und dergleichen benützt wird.
     
    Morse hörte plötzlich auf zu
lesen, lehnte sich zurück und legte die gefalteten Hände auf den Kopf, wie er
es in der Vorschule häufig auf Geheiß seiner Lehrerin getan hatte. Allmählich
verlor sich sein geistesabwesender Gesichtsausdruck, und während er die
Folgerungen der erstaunlichen Idee bedachte, die ihm plötzlich gekommen war,
wurde sein Blick wach und konzentriert.
    Dann nahm er sich noch einmal
den Bericht der Gerichtsmediziner vor, der fast alle früheren Erkenntnisse
bestätigte. Fingerabdrücke von Flynn, Fingerabdrücke von Repp, Fingerabdrücke
der Autobesitzer und etliche noch nicht identifizierte Abdrücke, von denen
einige vermutlich den Familienangehörigen der Wagenhalter zuzuordnen waren.
Doch dann las Morse noch einmal die letzten Worte: «Interessant dürfte ein
kompletter Satz ziemlich deutlicher und wiederholt festgestellter Fingerabdrücke
sein...»
    Wieder lehnte er sich, angenehm
ermüdet und recht zufrieden, in seinem Schreibtischsessel zurück, denn er
wusste, um wessen Fingerabdrücke es sich handelte.
    O ja!

Kapitel
40
     
    Gelegentliche
Beispiele merkwürdiger Zufälle sind im Grunde vielleicht gar nicht so selten.
    (Verteidiger
von Königin Caroline vor dem Oberhaus)
     
    Als Lewis kurz vor neun das
Büro betrat, wachte Morse mit einem Ruck auf. Er wusste weder, wo er war, noch
welchen Tag oder welche Uhrzeit sie hatten, er wusste nur, dass er herrlich
geschlafen hatte, kurz, aber tief und traumlos, so wie Sokrates es sich erhofft
hatte, nachdem der Schierlingsbecher geleert war.
    «Kein Kreuzworträtsel heute,
Sir?»
    «Der Laden war noch nicht auf.»
    «Warum geben Sie nicht einem Zeitungsjungen
was zu verdienen?»
    «Ab und zu braucht der Mensch
Bewegung, Lewis.»
    Der Sergeant setzte sich. «Darf
ich Sie was fragen?»
    Morse deutete auf die Berichte,
die auf dem Schreibtisch ausgebreitet waren. «Haben Sie die gelesen?»
    Lewis nickte. «Ja. Aber wie
gesagt, ich wollte Sie was fragen.»
    «Und ich habe Ihnen was zu
sagen. Wenn Sie nichts dagegen haben.» Das klang plötzlich schroff. «Sie werden
sich aus unserer langen Zusammenarbeit daran erinnern, dass Zufälle im Leben
sehr viel häufiger vorkommen, als die meisten Leute — meine Wenigkeit
ausgenommen — zu akzeptieren bereit sind. Zufälle sind nicht ungewöhnlich, sie
sind die Norm. Wie die Woche für Woche wiederkehrenden fortlaufenden
Lottozahlen. Aber diesmal ist der Zufall noch merkwürdiger als sonst.»
    (Die Augenbrauen von Sergeant
Lewis hoben sich leicht.)
    «Rekapitulieren wir noch einmal
den Mord an Yvonne Harrison. Sie war eine Frau mit einem ungewöhnlich starken
Geschlechtstrieb, keineswegs aber die

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