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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ihres verblichenen Gatten (sie hatten sich nicht scheiden
lassen) wenig beitragen können oder wollen, interessierte sich nicht dafür, auf
welche Weise er zu Tode gekommen war, und weigerte sich schlankweg, ihn auf
seinem wie auch immer gearteten letzten Gang zu begleiten. Er war ihr gegenüber
immer gleichgültiger geworden und hatte sie zum Schluss völlig links liegen
lassen, aber sie musste zugeben, dass er sie nie körperlich oder sexuell
missbraucht hatte. Sex hatte nicht einmal in den ersten Monaten ihrer Beziehung
eine beherrschende Rolle gespielt, auch Macht oder Erfolg oder
gesellschaftliche Akzeptanz, Alkohol oder Glück waren ihm nicht wichtig
gewesen. Ihn interessierte einzig und allein das Geld. Seit über zwei Jahren
hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und auch ihre Töchter hatten ihn nicht zu
Gesicht bekommen, dafür hatte sie gesorgt. Es war alles recht betrüblich. Wie
man Sergeant Dixons Bericht entnehmen konnte, war Paddy Flynn kein idealer
Gatte gewesen, andererseits hatte es Ms. Josephine Newton (wie sie sich jetzt
zu nennen beliebte) mit der ehelichen Treue auch nicht so genau genommen. «Auch
keine Heilige?», hatte Dixon handschriftlich angemerkt. Und Lewis lächelte
wieder einmal vor sich hin und kam sich eine Spur überlegen vor.
    Lewis hatte höchstpersönlich
(ohne Morse) Flynns Wohnung aufgesucht: kalter Zigarettenrauch, auf dem
schmalen Bett schmuddeliges Bettzeug, in der Spüle einiges (nicht allzu viel)
an schmutzigem Besteck und Geschirr, eine Herdplatte, die förmlich nach der
hausfraulichen Hand einer Mrs. Lewis schrie. Hinter der Badezimmertür ein
Stapel schmutziger Hemden, Unterhosen, Socken, Taschentücher. In einem klobigen
Schrank eine Minimalausstattung an Hosen, Jacken, Hemden, Unterwäsche. Eine
Corby-Hosenpresse. In einem ansonsten dürftig bestückten Kühlschrank elf Dosen
Guinness. Kein Buch weit und breit. Zwei Nummern des Mirror mit
aufgeschlagener Wettseite. Ein Fernseher, aber nicht mal das unvermeidliche
harte Pornovideo. Eine CD, Große Arien von Puccini, aber kein
CD-Spieler, auf dem Flynn diesen Anspruch hätte nachprüfen können. Wände ohne
Bilder. Keine Privatkorrespondenz und kaum amtliche Mitteilungen bis auf die
Antragsformulare des Sozialamts. Keine Spur von Bankkonten oder Sparbüchern.
    Viel anzufangen war damit
nicht.
    Trotzdem hatte Lewis gleich das
Gefühl gehabt, dass etwas fehlte. Und hatte geahnt, wo er dieses «etwas» finden
würde.
    Und da war es dann auch.
    Die meisten kleinen Gauner
haben nicht viel Phantasie, deshalb gibt es in der Regel nur zwei oder drei
bevorzugte Stellen, an denen sie ihre unrechtmäßig erworbenen Gewinne zu
verstecken pflegen. Paddy Flynn war, wie sich herausstellte, keine Ausnahme.
Der kleine braune Lederkoffer lag auf dem obersten Brett des alten
Kleiderschranks aus Mahagoni, ganz links hinter zwei verwaschenen grünen
Wolldecken.
    Einer der Constables brauchte
weniger als zwanzig Minuten, um eine Aufstellung über den Inhalt zu machen, ein
zweiter wenig mehr als dreißig Minuten zum Nachrechnen: ein geheimer Schatz
gültiger Banknoten in Fünfzigern, Zwanzigern, Zehnern und Fünfern, der sich auf
insgesamt 14 350 Pfund belief. Das, sagte sich Lewis, würde Morse
interessieren.
    Und Morse zeigte sich
tatsächlich in höchstem Maße interessiert.
    Eine ähnlich gründliche
Überprüfung von Repp und Richardson hatte den ganzen Mittwoch in Anspruch
genommen. Dabei war wenig Neues ans Licht gekommen, wenn man von der
überraschenden (?) Entdeckung absah, dass ein Konto auf den Namen Deborah
Richardson bei der Bausparkasse Burford und Cheltenham ein dickes Haben von 14
350 Pfund aufwies, wobei regelmäßige monatliche Einzahlungen stets (wie
glaubhaft versichert wurde) in bar vorgenommen worden waren. Debbie Richardson
hatte es lächelnd abgelehnt, Lewis’ Fragen bezüglich der Herkunft dieses recht
beachtlichen Einkommens zu beantworten; jeder, ob Bischof oder Bedienerin, ob
Präsident oder Prostituierte, habe schließlich Anspruch auf ein gewisses Maß an
Privatsphäre. Ja, hatte Lewis bestätigt, das sei wohl so; aber Morse, das
wusste er, würde sich dafür interessieren.
    Und Morse zeigte sich
tatsächlich in höchstem Maße interessiert.
    Am Donnerstag und Freitag waren
sie im Wesentlichen mit einer ersten Überprüfung und Analyse der vielen
Berichte und Aussagen beschäftigt, die inzwischen von Vollzugsbeamten,
Busfahrern, Abfalldeponie-Mitarbeitern, Parkwächtern, gerichtsmedizinischen
Experten und und und

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