Und manche liebe Schatten steigen auf
Einladung, sie mit den Meinigen auf Axenstein zu besuchen. Wir folgten mit Freuden der Einladung. Mir erweckte das Wiedersehn wehmütige Empfindungen. Ich brauchte eine ganze Weile, um die anmutigen und beseelten, wenn auch nicht schönen Züge der jugendlichen Künstlerin in dem Antlitz der gealterten Frau wiederzufinden. Und doch – als ich sie später nach einem Spaziergange, den ich mit meinem alten Freunde unternommen hatte, neben meiner Frau sitzend fand, einen Schal über die Knie gebreitet, die Hände im Schoß ineinander verschlungen und freundlich meine Frau anblickend, da war es doch ganz die Jenny Lind, wie Magnus sie gemalt hat, und wie sie in der Nationalgalerie in Berlin prangt. Ein Jahr später war sie nicht mehr unter den Lebenden, aber ich hatte sie doch noch einmal gesehen und gesprochen, Jenny Lind, die größte Sängerin ihrer Zeit, vielleicht aller Zeiten.
Wilhelmine Schroeder-Devrient
Unter den großen Künstlern, mit denen zu verkehren mir vergönnt war, nimmt die unvergleichliche dramatische Sängerin Wilhelmine Schroeder-Devrient einen hervorragenden Platz ein. Wohl heißt es, „dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, aber bekanntlich sind alle geflügelten Worte mit Vorsicht zu gebrauchen, und manchen Meister der Darstellung, wie Eckhoff, Iffland, Talma, Garrick, Jenny Lind, Sofie Schroeder und last not least Wilhelmine Schroeder-Devrient wird die Nachwelt nie vergessen, denn ihre Namen sind eben Marksteine in der Geschichte der Schauspielkunst. So sei denn der größten aller dramatischen Sängerinnen ein schlichter Kranz gewunden, einer Künstlerin, die sich den unvergänglichen Ruhm erworben hat, dem fast schon vergessenen und verschollenen Fidelio durch ihre vollendete Wiedergabe der Leonore die deutsche Opernbühne wieder erobert zu haben.
Es war im Jahre 1847, als die große Künstlerin nach Kopenhagen kam, um einer Einladung zu einem längeren Gastspiele im Königlichen Hoftheater nachzukommen. Bevor jedoch alle Welt die gefeierte Frau hören sollte, wollte der König diesen Genuss zunächst sich und dem engeren Kreise der Hofgesellschaft im voraus verschaffen und ließ sie deshalb zu einem Hofkonzert einladen. Da ich damals dänischer Hofkomponist war, fiel mir die Aufgabe zu, das Programm mit ihr zu vereinbaren und mit ihr zu probieren. Und diesem Umstande verdanke ich das Glück, ihre persönliche Bekanntschaft gemacht zu haben. Obwohl damals schon zweiundvierzig Jahre alt, war sie doch immer noch eine schöne Frau. Namentlich zeigte ihr Profil schöne und edle Linien, und ihre wunderbar schönen Bewegungen ließen es fast ganz übersehen, dass ihre Figur schon etwas reichlich frauenhaft war. Eine spezifische Gesangs künstlerin ersten Ranges war sie nicht: ihre Koloratur war nicht immer durchaus einwandfrei, auch gebot sie nicht über das vom Sänger unnachsichtlich zu verlangende Zungen-“R“, aber ihre Stimme war noch von ungewöhnlichem Wohllaut, und ihre Vortragskunst, ihre dramatische Kraft, ihr wunderbares Vermögen, in allen ihren Bewegungen wahrhaft klassische Schönheit zu verkörpern, alles dies war von so zwingender Gewalt, dass man die geringen Mängel, die – vielleicht auch erst in jenen vorgerückten Jahren – ihrem Gesang anhafteten, vollkommen vergaß. Sie wußte sogar aus einem kleinen Mangel Vorteil zu ziehen, denn mit der verpönten Aussprache des „R“ hinten im Schlunde wußte sie größere Wirkungen zu erzielen, als ich je von irgend einer anderen Gesangsgröße mit dem schulgerechten Zungen-“R“ habe erreichen hören. Nie vergesse ich die Wirkung, die sie in Schuberts „Am Meere“ mit den Worten „mich hat das unglücksel'ge Weib vergiftet mit seinen Tränen“ hervorbrachte, und zwar gerade mit diesem Konsonanten. Man war nach diesen Worten wie erstarrt. Lange zitterte die Wirkung in einem nach, und man wagte kaum zu atmen. Ebenso unvergesslich bleibt mir der Moment, wie sie als Romeo am Sarge der Julia das Gift nahm. Die Art, wie sie den Arm mit der Phiole sinken ließ, und wie ihr ganzer Körper nun im Todesschauer erbebte, war so ergreifend, dass mir war, als erlebte ich alles an mir selbst. Im Hause war viele Sekunden lang Totenstille. Dann aber brach ein elementarer Beifallssturm los, wie man ihn selten vernimmt. Sie sang in Kopenhagen eben den Romeo in Bellinis Montecchi und Capuleti und die Iphigenie in Glucks gleichnamiger Oper. Wahrhaft einzig war die klassische Größe und Schönheit, mit der
Weitere Kostenlose Bücher