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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Reinecke
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dem benachbarten Oldenburg war sie eingeladen worden, aber das Unglück wollte, dass sich dort zu keinem der von ihr gewählten Arien die Orchesterstimmen vorfanden. Man hatte nämlich vorausgesetzt, dass sie die Stimmen mitbringe, und sie war ihrerseits der festen Meinung gewesen, dass man in einer Residenz, und sei es auch eine kleine, die Orchesterstimmen zum „Freischütz“, zum „Don Juan“ oder zur „Schöpfung“ besitze. Um das Maß der Fatalitäten voll zu machen, stellte sich überdies heraus, dass auch nicht einer der zu jener Zeit in Oldenburg aufhältigen Klavierspieler ihr als Begleiter genügte. Unter diesen Umständen wollte sie unverrichteter Sache wieder abreisen. Aber das Hoftheater war am Tage vor dem Konzerte bereits ausverkauft, und man bestürmte sie mit Bitten, sich mit dem Vorhandenen zu begnügen und zu bleiben. „Ich bleibe nur“, war ihre Antwort, „wenn Sie augenblicklich eine Estafette an Reinecke in Bremen schicken, und wenn er kommen will.“ Die Estafette traf bei mir ein, ich benutzte die nächste Post und kam früh genug in Oldenburg an, um mehrere Stunden vor Anfang des Konzertes die nötige Probe mit Jenny Lind abzuhalten. Ja, wir fanden sogar noch Zeit zu einigen musikalischen Exkursionen, indem wir unter anderem Schumanns damals noch neues Quintett aus dem Gedächtnis zu zweien interpretierten, originell genug, da ich die Klavierpartie spielte, und Jenny Lind das Fehlende singend ergänzte. Der damalige Hofkapellmeister P. in Oldenburg, bei dem die Sängerin wohnte, wusste nicht gut mit ihr umzugehen. Schon während des Konzertes sagte er ihr übertrieben viel Schönes, und, obgleich sie Gast in seinem Hause war, ließ sie ihn doch manchmal fühlen, wie ungern sie Derartiges höre. Als man nun nach glänzend verlaufendem Konzerte in der Wohnung des Herrn Hofkapellmeisters in einem Zimmer zu ebener Erde en petit comité  versammelt war, äußerte Jenny Lind mit nicht zu verkennender absichtlicher Betonung, eine wie große Freude es ihr sei, wenn sie beim öffentlichen Auftreten mit Beifall, ja mit stärkstem Beifall belohnt werde, dagegen könne sie es nicht ertragen, wenn sie auch in ihrem Privatleben als „Wundertier“ betrachtet werde; da wolle sie schlicht wie jede andere gebildete Dame behandelt werden. Trotz dieser nicht misszuverstehenden Worte versicherte ihr unser gütiger Wirt, dass einer ihrer Zuhörer durch ihren Gesang „vom Übel erlöst sei“ und erging sich fortwährend in ähnlichen Redewendungen. Jenny Lind, welche sehr religiös gesinnt war und jene Worte besonders unangenehm empfunden haben mochte, rückte unruhig auf ihrem Stuhle hin und her, und uns wollten die guten Bissen gar nicht recht munden. Da begann vor dem Hause ein Summen, wie wenn Hunderte von Menschen sich dort sammelten. Der Herr Hofkapellmeister hatte den unglücklichen Gedanken, ganz verstohlen die Fenstervorhänge aufzuziehen, und als Jenny Lind nun zufällig zu den Fenstern hinblickte und dieselben von außen mit unzähligen neugierigen Gesichtern übersät fand, welche unserer Mahlzeit zuschauten, erhob sie sich plötzlich in voller Entrüstung und verließ mit den Worten „das ist doch zu arg“ das Zimmer. Begreiflicherweise war die Stimmung nunmehr eine sehr gedrückte und sank nach jedem vergeblichen Versuche, die Künstlerin zur Rückkehr zu bewegen, immer mehr. Nachdem sämtliche Mitglieder der kleinen Tafelrunde unverrichteter Sache aus dem Zimmer der Erzürnten zurückgekehrt waren, wurde ich gebeten, einen letzten Versuch zu machen, was ich jedoch ablehnte. Aber es half mir nichts: zwei der Herren eskortierten mich gewaltsam, wie einen Arrestanten, bis an die Tür ihres Zimmers, pochten an und eilten davon. Als ich nach wenigen Minuten mit Jenny Lind am Arm ins Zimmer trat, begegnete ich lauter ebenso erfreuten als erstaunten Blicken. Und doch hatte ich keinen Zauber angewendet, sondern mit ihr gesprochen, wie sie es liebte, und zwar wie folgt: „Erlauben Sie, mein Fräulein, dass ich Ihnen noch eine gute Nacht wünsche. Nachdem es drüben jetzt recht unbehaglich geworden ist, will ich nun auch mein Hotel aufsuchen. Aber verzeihen Sie, wenn ich meine, dass es doch nicht Recht ist, so im Groll von den Leuten zu scheiden, die Sie im Grunde doch gastlich und freundlich aufgenommen haben, nur um einer Ungeschicklichkeit willen! Die Fenster sind jetzt wieder verhangen, und, wenn Sie wollten, könnten wir noch ganz gemütlich ein Stündchen beieinander sitzen.“ Zum

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