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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Reinecke
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meinem Vater und einzigem Lehrer sowie der feinsinnigen Anleitung Mendelssohns verdanke, so ist es Hiller, der mir durch seine ebenso liebenswürdige wie einsichtige und gerechte Kritik am meisten genützt hat; denn Robert Schumann war mehr freundlich anerkennend und aufmunternd als kritisch. Hiller schlug dem damals in Köln lebenden Pianisten und Komponisten Eduard Franck und mir vor, dass wir uns allwöchentlich einmal zusammenfinden, uns unsere ungedruckten Kompositionen vorspielen und gegenseitig ehrlich beurteilen sollten, ein Vorschlag, dem wir freudig zustimmten. In diesen Zusammenkünften erwies sich Hiller einerseits als der berufenste und gleichzeitig liebenswürdigste Kunstrichter (der übrigens auch unsere Kritik stets dankbar aufnahm), andererseits aber als ein sehr fruchtbarer, vielleicht allzu schreibseliger Komponist. Als ich ihn zur ersten Zusammenkunft abholte, fragte er mich, was ich mitbrächte? „Ein Klavierkonzert“ war die Antwort. „Gut“, sagte Hiller, „da werde ich auch eins mitnehmen“, griff in die Schublade und holte das Manuskript von dem später sehr bekannt gewordenen Fis-moll-Konzerte hervor. Acht Tage später hatte ich zweistimmige Lieder unter dem Arme, in Folge dessen holte Hiller ebenfalls zweistimmige Lieder (die zweite Folge der vielgesungenen volkstümlichen Lieder) hervor. Nach weiteren acht Tagen verriet ich ihm, dass ich vierhändige Variationen über eine Sarabande von Bach mitgebracht habe, wieder öffnete sich die an Manuskripten unversiegbare Schublade, und Hiller entnahm derselben ebenfalls Variationen, diesmal freilich zweihändige. Von der spontanen Art, mit der Hiller gern freudigste Anerkennung zollte, gab dieser Abend Zeugnis; denn kaum hatte er meine Variationen mit mir durchgespielt, als er auch schon den Wunsch aussprach, sie zu wiederholen. Und am anderen Morgen trat er früh acht Uhr wieder in mein Stübchen mit den Worten: „Ich komme so früh, weil ich Ihnen durchaus noch einmal sagen musste, wie sehr mir ihre Variationen gefallen haben, und zugleich, um Sie zu bitten, an unserer Musikschule auch Kontrapunkt und freie Komposition zu lehren.“ Ein ander Mal offenbarte sich derselbe schöne Charakterzug, als er mir, sowie er meine zehn Kanons für drei weibliche Stimmen op. 100 kennen gelernt hatte, gleich eine Karte von Köln nach Leipzig sandte, welche die liebenswürdigsten Worte über dieses Werk enthielt.
    Im Jahre 1852 verließ er Köln, um als Dirigent an der Großen Oper in Paris zu wirken, und veräußerte deshalb in einer Auktion sein gesamtes Mobiliar, überließ mir aber seinen imposanten großen Schreibtisch, „weil er so gern wissen wolle, wo derselbe bleibe“. An diesem Tische, an dem sich noch Spuren von Flintenkugeln aus den Dresdner Barrikadenkämpfen im Jahre 1848 finden, schrieb Hiller eine große Anzahl seiner Kompositionen, Berthold Auerbach seinen Roman „Auf der Höhe“, und es ist wohl eine eigentümliche Schickung, dass auch diese Zeilen zum Angedenken an seinen dereinstigen Besitzer an ihm geschrieben werden. Dass er in einem verborgenen Fache einen kleinen Schatz enthielt, entdeckte ich erst nach Jahren: es war ein Blatt mit einem gedruckten Gedichte von Goethe, welches dieser eigenhändig unterzeichnet hatte. Nach einem Jahr kehrte Hiller, etwas enttäuscht, nach Köln zurück, und nun erfreute ich mich wieder fast täglich seines anregenden und fördernden Umganges, bis ich selbst Köln für immer verließ. Wir sahen uns seltener, aber er sorgte lange für schriftlichen Verkehr, bis endlich auch dieser ins Stocken geriet.
    Es sei mir nur noch vergönnt, einiges aus einem seiner letzten, wenn nicht gar seinem allerletzten Briefe an mich hier mitzuteilen, da es einesteils Zeugnis gibt von seinem Bedürfnisse, anderen Angenehmes zu erweisen, andererseits von der deprimierenden Stimmung, die ihn in seinem letzten Lebensjahre infolge schmerzhafter Leiden beherrschte:
     
    „Lieber Reinecke!
     
    Warum schreiben wir uns eigentlich gar nicht? Es läge doch so sehr nahe! Aufrichtig gesagt, ich glaube, es hat seinen Grund darin, dass wir uns gegenseitig mehr Angenehmes erzeigen möchten als die Verhältnisse es gestatten – und dass es uns unangenehm davon zu sprechen.
    - - - - - - - - - - - -  
    Ich werde nun nicht viel Angenehmes mehr erzeigen können – das hat auch seine gute Seite.
    Sie werden wissen wollen, wie es mir geht – darauf ist schwer antworten – ich esse, schlafe, komponiere – aber daneben bin ich

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