Und manche liebe Schatten steigen auf
sie diese griechische Priesterin darstellte. Ein Maler, der im Theater neben mir saß, brach einmal über das andere in die Worte aus: „Könnte man doch das alles auf der Leinwand festhalten! Jede Stellung ist ja ein vollendet schönes plastisches Meisterwerk“. Bei den Vorbereitungen zu dem oben erwähnten Hofkonzerte fragte die Künstlerin mich, was sie wohl am besten zum Vortrag wähle, und ich fühlte mich verpflichtet ihr zu sagen, dass der König Christian eigentlich nur für die damals moderne italienische Opernmusik ein lebhafteres Interesse habe. Da schüttelte sie aber den Kopf und meinte: „Im Kostüm und mit dem Bärtchen auf der Oberlippe kann ich wohl die Arie „Wenn Romeo den Sohn erschlagen“ mit Begeisterung singen, aber im Konzertkleid, nee – das geht nicht.“ Und sie sang lauter Schubertsche, Mendelssohnsche und Schumannsche Lieder, die ich sämtlich begleiten musste; das ist mir noch heute eine kostbare Erinnerung. Wenn ich aber zwischen ihren Gesangsvorträgen zu spielen hatte, musst sie sogar an der Seite des Königs in der Reihe der Fürstlichkeiten Platz nehmen; so zeichnete der König die Sängerin aus.
Am 25. Oktober gab sie ein eigenes Konzert, und dazu wählte sie mich zu ihrem Mitwirkenden, was mich mit gerechtem Stolze erfüllte. Sie sang „Widmung“ von Schumann, „Am Meere“, „Ständchen“, „Ungeduld“ und „Erlkönig“ von Schubert, ein Duett aus Rossinis „Semiramis“ (mit dem Kopenhagener Opernsänger Hansen), ferner „Bächlein, lass dein Rauschen sein“ von Curschmann, Volkslied von Mendelssohn, und „Liebst du nur Schönheit“ aus meinem soeben bei Breitkopf & Härtel erschienenen Liederhefte op. 5. Sämtliche Gesangsvorträge begleitete ich und war außerdem vier Mal als Solist tätig. Deshalb hatte die Diva Mitleid mit mir, als das Publikum am Schlusse des Konzertes den Erlkönig ( welcher bekanntlich auch für den Klavierspieler eine sehr anstrengende Aufgabe ist) noch einmal zu hören begehrte. Leise fragte sie mich: „Wird's denn noch einmal gehen, Füchschen?“ So nannte sie mich mit Vorliebe. Ich vertraute darauf, dass sie wiederum durch ihren hinreißenden Gesang mich alle Ermüdung vergessen lassen würde, und setzte mich rasch entschlossen wieder an den Flügel. War doch mein Herz dankerfüllt dafür, dass sie, die weltberühmte Künstlerin, trotz meines bescheidenen Einspruches ein Lied von mir, dem fast noch ganz obskuren Kunstjünger, zu singen gewünscht hatte.
Eines Abends war ich mit ihr bei dem dänischen, vor kurzem im 94. Lebensjahre verstorbenen Komponisten J. P. E. Hartmann zum Tee geladen. Es war ein ganz kleiner Kreis versammelt, außer dem gefeierten Gaste nur Hartmann mit Frau und Tochter, der nachmaligen Gattin von Niels W. Gade, mein Freund Otto von Königslöw und ich. Es war behaglich in dem kleinen Gemache, die Teemaschine summte traulich, und vom nahen Hafen hörte man das Wasser plätschern. Alles das mochte die liebenswürdige Frau gemütlich stimmen, und so begann sie denn aus ihrem Leben zu erzählen: wie sie in ihrem sechsten Lebensjahre in Hamburg zuerst als kleine Tänzerin habe auftreten müssen, wie sie ihrem Tanzlehrer, der wie ein Mohr ausgesehen habe, nach der Vorstellung eine silberne Medaille habe überreichen müssen, und wie sie als fünfzehnjähriges Mädchen die Louise in „Kabale und Liebe“ auf dem Dresdner Hoftheater gespielt habe. Über dieses Auftreten erzählte sie dann mehr. Sie habe zu Ludwig Tieck gehen müssen, um sich von ihm die Rolle der Louise vorlesen zu lassen. Tieck habe sie mit den wenig aufmunternden Worten empfangen: „Es tut mir sehr leid, liebes Kind, dass sie von den schlechten Stücken, die Schiller geschrieben hat, gerade das Schlechteste ausgewählt haben. Aber, da es nun einmal so ist, will ich Ihnen die Rolle vorlesen.“ Und er habe gelesen. „Aber“, sagte sie, „so schön Tieck den Shakespeare las, so unerträglich ausdruckslos las er den von ihm so maßlos unterschätzten Schiller. Die Worte der Louise zur Milford: „“Milady, nehmen sie ihn hin, rennen Sie in seine Arme! Reißen sie ihn zum Altar – nur vergessen sie nicht, dass zwischen Ihren Brautkuss das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird““, sprach er in dem Tone, als wenn er etwa sagt: „Guten Morgen, recht schönes Wetter heute“. „Ich aber hatte mir die Worte so gedacht“. Und nun sprach sie, die zweiundvierzigjährige Frau im schwarzen Atlaskleide, die Teetasse vor sich, in der
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