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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Reinecke
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durch Misèren so geplagt, dass ich im Grund wenig Freude am Leben habe. Das Zimmer habe ich jetzt schon seit zwei Monaten ungefähr nicht verlassen.
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    Hoffentlich geht bei Ihnen alles wieder nach Wunsch – mit den besten Grüßen von Haus zu Haus
    Ihr altergebener
    13./6. 84 Ferd. Hiller“
     
    Und doch hatte er mir so oft Angenehmes erwiesen und mich sowohl als Komponisten wie als Spieler nicht allein in den Gürzenich-Konzerten, sondern auch auf den Rheinischen Musikfesten, die er dirigierte, so manches Mal berücksichtigt!
    Hillers größere Schöpfungen werden wohl bald gänzlich ad acta gelegt sein, obgleich z.B. seine Oratorien „Die Zerstörung Jerusalems“ und „Saul“ so viel Schönes enthalten, dass sie wohl verdienen, dann und wann aufgeführt zu werden. Aber manche seiner anspruchsloseren Kompositionen dürften noch längere Zeit viele Hörer erfreuen, wie man denn auch im Hause wie in Konzerten noch oft sein tief empfundenes „Gebet“, das frische „Im Maien“, seine reizenden und in ihrer Art einzigen Lieder für Sopran und Männerchor, seine „Lorelei“, das Klavierkonzert in Fis-moll, die Klavierstücke „Zur Guitarre“ und „Marcia giocosa“, die graziöse und humorvolle vierhändige „Operette ohne Text“ und manches andere zum Vortrag bringt. Ich halte sein Andenken in Ehren, möchten es auch andere mit mir tun.
     
     

Johannes Brahms
     
     

Als ich im März des Jahres 1896 in Wien die Freude hatte, mit Brahms täglich verkehren zu können, war er noch der kraftstrotzende Mann mit dem sonoren Organ, den blitzenden Augen, mit der untersetzten behäbigen Gestalt und dem straffen Gange, wie man ihn seit Jahren kannte. An allem nahm er regsten Anteil, mochte es seine Kunst oder die anderen Künste, die Literatur oder die Wissenschaft angehen. Im „Roten Igel“ vertilgte er imposante Portionen mit beneidenswertem Appetite und trank bei unserem gemeinschaftlichen Freunde Ignaz Brüll mit Behagen feurige Weine, die man ihm gern kredenzte, da er sie wohl zu schätzen wusste; er verschmähte, als er mich im Hotel aufsuchte, den Lift, den jeder andere sonst gern benutzt. Nur in einer   Beziehung war er ein anderer geworden: seine kaustische Art im Umgange mit anderen hatte sich fast ganz verloren, und er war im Verkehr liebenswürdiger geworden. Bei meinem ersten Besuche, den ich ihm machte, befremdete mich allerdings der Empfang, der mir von der wachhabenden Haushälterin zuteil wurde; denn als ich sie aufforderte, meine Karte hineinzutragen und anzufragen, ob ich den Doktor Brahms sprechen könne, gab sie mir kurzweg den Bescheid: „Geh'n Sie nur so hinein! Der Doktor sagt, er werde sonst bloß zweimal gestört.“ Ich trat also nach dem kräftigen „Herein“ in das einfache Gemach, in dem herzlich wenig von dem zu sehen war, was zum wohnlichen Behagen beiträgt. Aber mit Stolz zeigte er mir die schöne Aussicht von seinem Fenster auf die stattliche Karlskirche. Dann bot er mir mit freundlichem Schmunzeln eine besonders feine Zigarre an und zeigte mir eifrig seine wunderbaren Schätze an Autographen, eine große Menge Schubertscher Lieder (darunter manche der allerberühmtesten), viele Beethovensche Skizzenblätter, Briefe von Hölderlin, sechs Streichquartette von Haydn, die G-moll Symphonie von Mozart in Partitur und vieles, vieles andere. Die Mozartsche Symphonie gab ihm Anlass, mir eine besonders interessante Korrektur zu zeigen, die der Meister gleich in den ersten Takten vorgenommen hatte. „Schauen Sie her“, sagte er, „die verdoppelte Terz hat der Mozart nicht vertragen können, und so hat er aus dem b in der Bratsche ein d gemacht. Ja, muss der ein herrliches Ohr und eine feine Empfindung gehabt haben!“ Die Korrektur, die Brahms zu diesen Worten veranlasste, ist die nachstehende im dritten Takte.
     
     
    Nachdem ich mich an diesen Sätzen satt gesehen hatte, verabschiedete ich mich von ihm. „Auf Wiedersehn im nächsten Jahre“, meinte er, und fügte so freundliche Worte hinzu, dass ich Anstand nehme, sie zu wiederholen. Aber – das Wiedersehen sollte ein sehr trübes sein! Ich sah ihn zuerst wieder, als er mich – im März des nächsten Jahres – in Wien im Hotel aufsuchte; denn ich hatte ihn bei meinem ersten Besuche verfehlt, obgleich ich frühzeitig zu ihm gegangen war. Man hatte mich zwar darauf vorbereitet, dass sein Anblick mich erschüttern werde, aber so hatte ich mir doch die Veränderung, die mit ihm vorgegangen sein

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