Und manche liebe Schatten steigen auf
zweistimmige Lied mit Pionoforte-Begleitung hat er mit einem Schlage hoch emporgehoben. Sein erstes Heft dieser Gattung hatte sofort einen kaum dagewesenen Erfolg und machte den glücklichen Verleger fast zu einem reichen Manne. Wer kennt nicht den „Gruß“ oder „Ich wollt', meine Lieb' ergösse sich all' in ein einzig Wort“? Und auch unter den einstimmigen Liedern finden sich, trotz Franz Schubert und Robert Schumann, wahre Perlen der Lyrik. Die am meisten verbreiteten sind wohl „Auf Flügeln des Gesanges“ und das zum Volkslied gewordene „Es ist bestimmt in Gottes Rat“. Man hat Mendelssohn wiederholt den Vorwurf gemacht, dass er in seinen Liedern nicht immer minutiös richtig deklamiert habe, und jeder Unparteiische muss die Berechtigung dieses Vorwurfes zugestehen. Aber Mendelssohn entschädigt dafür reichlich durch eine ebenso schöne, wie auch der Stimmung entsprechende Melodie. Auch Beethoven hätte wohl deklamieren sollen „ Ein sam wandelt dein Freund im Frühlingsgarten“ anstatt „Einsam wan delt“! Und wer würde es wagen ihm im Ernste einen Vorwurf daraus zu machen, dass er schrieb: „ Küsse gab sie uns und Reben, e inen Freund, ge prüft im Tod?“ Wer wird Johann Sebastian Bach schmähen, weil er in den Einsetzungsworten des Abendmahls die Silben folgendermaßen betont: „ wel ches vergossen wird für Viele, zur Vergebung der Sünden?“ Das alles ist nicht richtig deklamiert und doch herrlich und schön!
Als Symphoniker muss Mendelssohn zwar vor einem Beethoven die Segel streichen, aber dem Heros nachzustehen ist keine Schande, ihm nicht fern zu stehen schon eine hohe Ehre. Und, dass Mendelssohns A-moll Symphonie jetzt über ein halbes Jahrhundert neben den Werken der größten Meister besteht, muss anerkannt werden, selbst wenn man zugibt, dass zum Teil ein allzu lyrischer Hauch durch die genannte Symphonie weht. Über die Ouvertüren sich zu verbreiten, hieße Notenblätter nach Leipzig tragen! Selbst die zum öfteren von oben herab beurteilte Ouvertüre zu „ Ruy Blas “ erscheint uns – ganz abgesehen davon, dass sie in unglaublich kurzer Zeit geschaffen wurde – als eine äußerst frische, glänzende und charakteristische Ouvertüre , wie wir solche nicht viele besitzen; mit Rücksicht auf die Umstände, unter denen sie geschrieben wurde, ist sie geradezu bewundernswert. Wir können uns nicht versagen, den Brief, welchen er über die Entstehung derselben am 18. März 1839 an seine Mutter schrieb, hier auszugsweise mitzuteilen: „Du willst wissen, wie es mit der Ouvertüre zum Ruy Blas zugegangen ist? Lustig genug. Vor 6 – 8 Wochen kam die Bitte an mich, für die Vorstellung des Theaterpensionsfonds eine Ouvertüre und die in dem Stück (eben Ruy Blas ) vorkommende Romanze zu komponieren, weil man sich eine bessere Einnahme versprach, wenn mein Name auf dem Zettel stände. Ich las das Stück, das so ganz abscheulich und unter jeder Würde ist, wie man's gar nicht glauben kann, und sagte, zu einer Ouvertüre hätte ich keine Zeit und komponierte ihnen die Romanze. Montag (heute vor acht Tagen) sollte die Vorstellung sein; an dem vorhergehenden Dienstag kamen die Leute nun, bedanken sich höflich für die Romanze und sagen, es wäre so schlimm, dass ich keine Ouvertüre geschrieben hätte; aber sie sähen sehr wohl ein, dass man zu solch einem Werke Zeit brauche, und im nächsten Jahre, wenn sie dürften, wollten sie mir`s länger vorher sagen. Das wurmte mich; ich überlegte mir abends die Sache, fing meine Partitur an – Mittwoch war den ganzen Morgen Konzertprobe, - Donnerstag Konzert, aber dennoch war Freitag früh die Ouvertüre beim Abschreiber.“
Mendelssohn selbst hat fünfzehn Werke für Kammermusik veröffentlicht; nach seinem Tode wurden noch manche publiziert, die er zweifellos nicht ohne Grund zurückgehalten hatte. Unter den erstgenannten ragen besonders hervor das wiederholt genannte Oktett, einige Streichquartette (insbesondere op. 44 Nr. 2 in E-moll), die beiden Klaviertrios und die beiden Sonaten für Klavier und Violoncello. Die vier letztgenannten Werke waren unbestritten die ersten der Art, welche, nachdem Beethoven und Schubert entschlafen waren, wieder etwas bedeuteten; denn alles, was inzwischen Hummel, Marschner, Onslow, Weber, Reissiger, Kuhlau, Moscheles, und selbst Spohr an Kammermusikwerken geschaffen hatten, wurde durch diese Mendelssohnschen tief in den Schatten gestellt. Andererseits soll freilich nicht geleugnet werden, dass
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