Und manche liebe Schatten steigen auf
ist; ich weiß nicht, wie lange sie noch dauert“, und: „Lass mich nur jetzt noch arbeiten, es wird schon auch für mich die Zeit der Ruhe kommen“, das waren seine Todesahnungen kündenden Antworten. Dem ersten Konzerte der Saison 1847 – 1848 , am 3. Oktober, wohnte Mendelssohn verborgen und ungesehen in dem kleinen, dunkeln Raume neben der Direktionsloge, welcher den Scherznamen des „Hühnerstalls“ trug, noch bei, um sein Violinkonzert von dem jugendlichen Joachim spielen zu hören. Das soll seine letzte Anwesenheit in diesem jetzt auch der alles nivellierenden Zeit zum Opfer gefallenen Saale gewesen sein. Bald wurde er wiederholt von ohnmachtähnlichem Schwindel befallen; am 3. November erneuerte sich ein solcher Anfall, und von da an kam er nur noch auf Augenblicke zum Bewusstsein. Am 4. November las man an den Strassenecken Leipzigs den nachstehenden Anschlag:
Zur Nachricht!
Die unterzeichnete Direction findet sich dringend veranlasst, das heutige fünfte Abonnements-Concert auszusetzen. Sie benachrichtigt hiervon die geehrten Abonnenten und Mitwirkenden, und ersucht, die etwa entnommenen Extra-Billets, gegen Empfangnahme der Zahlung, in der Musikalienhandlung von Fr. Kistner zurückzugeben.
Die Concert-Direction.
Jedermann verstand diese Unheil verkündende Absage, es bildeten sich Gruppen von ängstlich beklommenen Männern vor dem Hause des geliebten und verehrten Künstlers, und am selbigen Abend noch erfuhr man, dass er 9 Uhr 24 Minuten sanft entschlafen sei. Ein großer Künstler, ein guter Mensch war dahingegangen. Am Sonntag den 7. November fand eine große Feierlichkeit für den Entschlafenen in der Paulinerkirche statt, abends ward der Sarg von den Studierenden des Konservatoriums auf den Magdeburger Bahnhof getragen, von wo er nach Berlin überführt wurde, um daselbst in der Familiengruft auf dem alten Dreifaltigkeits-Kirchhofe beigesetzt zu werden. Am 11. November fand eine erhebende Gedenkfeier für den Verstorbenen im Gewandhause statt, der erste Teil enthielt nur Werke des Meisters: „ Verleih' uns Frieden “, Gebet von Luther, Ouvertüre zum Märchen von der schönen Melusine, Nachtlied „Vergangen ist der lichte Tag“ von Eichendorff, Motette für Soli und Chor „Herr, nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren“, Ouvertüre zu Paulus; den zweiten Teil bildete Beethovens Sinfonia eroica .
Mendelssohn war von kaum mittelgroßer Statur, schlank gebaut und elastisch in allen seinen Bewegungen. Seine edlen Gesichtszüge, umrahmt von wallendem Lockenhaar, verrieten seine orientalische Abkunft, die hohe Stirn, die geistreichen Augen, der feine Mund den Denker. Unter allen seinen Bildnissen ist dem Stich nach Magnus und dem Medaillon von Kietz der Vorzug zu geben.
Der Komponist Mendelssohn hat sich, wie jeder weiß, auf allen Gebieten der Tonkunst bewegt; als Opernkomponist zwar existiert er für die Gegenwart nicht mehr, denn seine Jugendopern sind verschollen, und die „Loreley“ blieb ein Torso. Das eine Finale aber, welches er vollendet hinterlassen hat, lässt uns tief bedauern, dass es ihm nicht vergönnt war, das so schön begonnene Werk zu vollenden, uns nicht, es in seiner Ganzheit zu besitzen. Als Oratorien- und Kirchenkomponisten haben wir ihn schon im Verlaufe dieser Lebensskizze gewürdigt. Als Liederkomponist hat er zwar einen Franz Schubert nicht erreicht, aber dennoch verdanken wir ihm viel Herrliches. Das Chorlied für gemischte Stimmen hat er, so zu sagen, erst erfunden; denn was vor ihm in dieser Gattung geschaffen war, kommt seinen Liedern gegenüber gar nicht in Betracht. Viele seiner Lieder „im Freien zu singen“ haben eine immense Verbreitung gefunden, und noch heute, wenn sich sangeskundige Leute zusammenfinden, stimmen sie mit Vorliebe die Mendelssohnschen, in ihrer Art unübertroffenen Lieder an. Auch den Liedern für Männerchor gab er ein edleres, vornehmeres Gepräge, als die früheren, mit wenigen Ausnahmen, trugen. Mehrere, wie z. B. „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“, „An die Deutschen in Lyon“, und vor allem „Wer hat dich, du schöner Wald“ sind derart in die breitesten Schichten des Volkes gedrungen, dass man sie – meistens den letztgenannten „Abschied vom Walde“ - geradezu als Volkslied bezeichnen kann. Es ist sehr zu bedauern und kein gutes Zeichen der Zeit, dass die Mendelssohnschen Männerchöre in der Gegenwart von den Männergesangsvereinen so wenig gesungen werden. Auch das
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