Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
Playlist aufzuschreiben. Ich schnappte mir Zettel und Stift und legte los.

    Was für eine schräge Mischung!
    Besonders beeindruckte mich, dass sie neben Joy Division, Cooper und The Cure David Bowie auf der Kassette hatte. Und dann noch dieses Lied!
    Es handelte von der Mauer, von einem Paar, das versucht, das System zu besiegen, indem es sich mitten auf dem Todesstreifen küsst. Auch wenn ich klamottentechnisch niemals wie der Thin White Duke rumlaufen würde, mochte ich seine Musik und bewunderte seinen Werdegang.
    Aber etwas enttäuschte mich. Es gab auf der Kassette keinen Hinweis auf die Identität des Mädchens.
    Dann schoss es mir durchs Hirn: Vielleicht war die Kassette ein Geschenk ihres Freundes! Vielleicht war der Waver, lief schwarz gekleidet rum wie Dave und Martin und wollte ihr so seine Liebe zeigen. Die Tracks passten irgendwie. Sehr viel Liebe in den Liedern. Und zu dem Karamellmädchen passte, dass sie einen Freund hatte. Sicher liefen ihr die Jungs scharenweise hinterher. Saskia und alle anderen Mädchen, mit denen ich bisher rumgemacht hatte, stellte sie locker in den Schatten!
    Auf einmal fühlte ich mich irre schlecht. Ich konnte nicht sagen, warum, immerhin kannte ich das Mädchen gar nicht, und was ging es mich an, ob sie einen Freund hatte oder nicht?
    Doch ich wollte sie kennenlernen, unbedingt! Oder ihr wenigstens die Kassette zurückgeben …
    Mein erster Gedanke war, Max zu fragen, doch dann fiel mir wieder ein, dass ich ihm nicht mal von der Kassette erzählt hatte. Und dass ich wegen des Mädchens ziemlich verwirrt war, wollte ich nicht mal ihm anvertrauen. Zumindest jetzt noch nicht.
    Niedergeschlagen zog ich die Kassette wieder aus meinem Walkman. Dabei bemerkte ich an der Seite ein paar Kratzer. Eigentlich hätte ich sie ignorieren können – aber es waren keine zufälligen Kratzer, sondern welche, die mit Absicht hineingeritzt worden waren.
    Ich schaltete die Schreibtischlampe ein und betrachtete sie näher.
    »Milena«, stand da in ungelenken Buchstaben, wahrscheinlich waren sie mithilfe einer Nadel entstanden.
    Milena. War das der Name des Mädchens? Wie viele, die so hießen, mochten in Ostberlin leben? Oder zumindest in dem Teil Ostberlins, in dem sie ausgestiegen war …
    Milena. Der Name passte zu ihr. Und jemand hatte die Kassette für sie bespielt. Meine Freundestheorie erhärtete sich. Und der Knoten in meinem Bauch auch.
    Dennoch sollte sie die Kassette zurückbekommen …
    Ich warf mich also auf mein Bett, schloss die Augen und während ich versuchte, mir Milenas Lachen wieder ins Gehör zu rufen, kam mir eine Idee.
    Für den Fall, dass ich das Mädchen wiederfand, würde ich noch einen persönlichen Gruß auf der Kassette hinterlassen …

Take on me
27. Juni 1989
Milena
    Der nächste Tag brachte eine unangenehme Überraschung. Gleich morgens wurde Lorenz zu Direktor Neumann zitiert. Das passierte äußerst selten und nur dann, wenn jemand etwas Ernsthaftes ausgefressen hatte. Was hatte er nur wieder angestellt?
    Als es klopfte, schossen all unsere Köpfe beinahe gleichzeitig nach oben.
    Frau Heinrich, die nicht nur die Clubleiterin der »Jungen Pädagogen« war, sondern auch unsere Deutschlehrerin, rief: »Herein!«, und da schob sich Lorenz’ pinkfarbener Iro durch die Tür. In seiner Hand hielt er einen Zettel, seine Wangen waren gerötet, aber auf seinem Gesicht lag ein selbstgefälliges Grinsen.
    Ich platzte beinahe vor Neugierde.
    »Lorenz, setz dich und schlag dein Buch auf Seite fünfzig auf«, wies Frau Heinrich ihn streng an und fuhr dann fort mit ihrem Vortrag über russische Dichter der Neuzeit.
    Lorenz kam ihrer Anweisung nach, allerdings fläzte er sich auf seinen Stuhl und schlug das Buch so geräuschvoll auf, dass Frau Heinrich pausierte und ihn böse ansah.
    Als ich zu ihm rüberblickte, sah ich, wie er den Zettel grinsend zusammenknüllte. Was stand da bloß drauf?
    »Milena, was gibt es da hinten so Interessantes?«, durchschnitt Frau Heinrichs Stimme meine Gedanken.
    Blitzschnell sah ich wieder nach vorn. »Nichts, Frau Heinrich.«
    Ich konnte mir bei ihr nichts erlauben, denn ich war noch nicht sicher, ob sie mit der Wandzeitung, die ich ihr abgegeben hatte, zufrieden war.
    Während ich versucht hatte, die Zeitungsausschnitte von Sabines Vater irgendwie anzuordnen, war mir die Flasche mit dem Leim umgekippt. Ich hatte versucht, zu retten, was ich retten konnte, aber dennoch waren ein paar hässliche Flecken geblieben, die ich mit meinem

Weitere Kostenlose Bücher