Und morgen am Meer
an unserem Haus vorbei, als ich aus der Tür kam.
»Warte doch!«, rief ich ihm hinterher, aber er lief mit langen Schritten weiter.
»He, das war ja eine Schau!«, sagte ich zu Lorenz, als ich ihn endlich eingeholt hatte. »Du hast es denen richtig gezeigt.«
Lorenz grinste kurz, dann holte er tief Luft und sagte ganz unschuldig: »Was denn? Ich habe mich nur vernünftig angezogen. Und da ich dachte, dass der Direx auf Anzug über dem FDJ -Hemd steht, hab ich mir mal einen von meinem Alten ausgeliehen. Eigentlich sollte der ja weg, aber ich finde, für den Zeugnistag hat er’s echt noch mal gebracht.«
»Und wie!«, entgegnete ich. »Die werden im Lehrerzimmer noch immer über dich reden!«
»Ja, vor allem die Lehrer werden sich fragen, in welchem Exquisit sie so einen Anzug bekommen!« Lorenz zupfte sich an der Jacke, dass ich lachen musste. Dieser Anzug würde vielleicht im »An- und Verkauf« zu finden sein, aber ganz sicher nicht im Exquisit!
»Und, was machste die Ferien über?«, fragte er, nachdem wir uns in der Nähe auf den Rand eines Betonblumenkübels gesetzt hatten.
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Mit Sabine abhängen.«
Lorenz schnaufte. »Da kannste auch zu mir und meinen Jungs kommen. Die sind bisschen laut, aber richtig in Ordnung.«
Wenn er das sagte, musste es stimmen. Mit den Punks am Alex hatte ich bisher nicht viel zu tun, aber immerhin hatten sie, wenn ich Lorenz da mal begegnet war, keine blöden Bemerkungen in meine Richtung geschmissen.
»Vielleicht mach ich das mal. Bei euch gibt’s wenigstens gute Musik.«
Sah ich richtig oder wurde Lorenz auf einmal rot?
Irgendwas schien ihm auf der Seele zu brennen, doch er wusste wohl nicht, wie er es sagen sollte.
»Wo willste jetzt eigentlich hin?«, fragte ich ihn, um seine Verlegenheit ein wenig zu vertreiben. »So kannst du doch nicht zu deinen Kumpels am Alex fahren.«
Lorenz grinste breit. »Warum denn nich? Die stehen sicher drauf, besonders, wenn ich ihnen erzähle, wie die Heinrich aus der Wäsche geguckt hat.«
»Aber du wolltest nicht zu ihnen, stimmt’s?«
Lorenz schüttelte den Kopf. »Nee, wollt ich nicht. Musste mal bisschen rumlaufen. Das Zeugnis ist nicht so gut ausgefallen, und mein Alter will, dass ich mich für eine Lehrstelle als Zerspaner bewerbe.«
»Aber du willst doch Lektor werden!«
»Dazu müsste ich studieren. Und an die EOS . Glaubst du wirklich, ich werde dort zugelassen?«
»Aber so schlecht kann’s doch nicht gewesen sein. Du bist doch nicht dumm!«
»Ich hab in Mathe ’ne Vier und die Heinrich hat mir in Deutsch ’ne Drei reingebrummt.«
»Du in Deutsch ’ne Drei?« Ich war von den Socken. Lorenz, der so viel las und sich so gut mit Büchern auskannte, sollte ’ne Drei haben? Niemals!
»Ja, so steht es da. Der Heinrich passt meine Nase nicht. Erinnerst du dich an die letzten Aufsätze? Immer hat die mir angekreidet, dass ich zu wenig auf die Haltung des ZK der SED oder auf anderen sozialistischen Quatsch eingegangen bin und mir gleich ’ne Note schlechter gegeben.« Seine Miene wirkte auf einmal verbittert.
»Aber das ist nicht fair!«
»Stimmt, aber darauf nimmt die alte Hexe keine Rücksicht. Hauptsache, sie kann mir eins reinwürgen.«
»Und dein Vater? Kann der nicht mal mit ihr reden?«
»Mein Alter interessiert sich nicht für mich. Er kann nur klugscheißen. Zerspaner!« Lorenz klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Als ob mich so was interessiert! Eingehen würde ich dabei!«
»Und wenn du dich im nächsten Jahr verbesserst? Wir sind erst in der Neunten, im nächsten Jahr könntest du …«
Lorenz brachte mich mit seinem Kopfschütteln zum Schweigen. »Die Heinrich und der Kowalsky werden mir keine besseren Noten geben, dazu hassen sie mich viel zu sehr. Und dann ist da auch noch Stabü, wo ich zurecht ’ne Vier hab. Ich kann diesen Quatsch einfach nicht nachbeten.«
Sollte es das gewesen sein? Lorenz’ Traum, in einem Verlag zu arbeiten, einfach geplatzt?
»Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit«, sagte er schließlich, wirkte dabei aber nicht so, als würde ihn das besonders glücklich machen.
»Und welche?«
»Wenn ich mich bei der Armee verpflichte. Zehn Jahre Kommiss und ich darf Abitur machen.«
»Du willst zehn Jahre lang Soldat sein? Du?« Lorenz mochte vielleicht abenteuerlich aussehen, aber er prügelte sich nur, wenn es unbedingt nötig und nicht zu umgehen war.
»Ja, warum denn nicht?«
»Aber wenn du da rauskommst, bist du
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