Und morgen am Meer
achtundzwanzig. Und dann müsstest du studieren und dir eine Stelle suchen.«
»Ich weiß«, murmelte er niedergeschlagen. »Und dabei wollte ich doch spätestens mit fünfundzwanzig dein erstes Buch herausbringen. Einen astreinen Spionageroman mit dem CIA -Agenten.«
»Wohl eher mit einem sowjetischen namens Makaroff, meinst du wohl«, entgegnete ich grinsend. Welcher Verlag in der DDR würde schon ein Buch rausbringen, in dem ein westlicher Spion der Held war, wenn wir sogar die James-Bond-Filme nur heimlich schauen durften!
»Also den will ich in deinem Buch nur dann sehen, wenn ihm der Mann von der CIA ordentlich eins auf die Gusche gibt!«
Lorenz tat so, als würde er irgendwem einen Fausthieb verpassen. Bereits da sah man, dass er vom Schlagen wirklich nicht viel Ahnung hatte, und ich fragte mich, wie er aus den bisherigen Kloppereien heil herausgekommen war.
Jetzt lächelte er mich wieder so komisch an, schob dann die Hände in die ausgebeulten Taschen seines Sakkos und fragte: »Willst ein Stück mitkommen? Nicht, dass du über dein Zeugnis nachdenken müsstest, das ist sicher wieder klasse und du wirst bestimmt studieren.«
»Weiß man nicht«, entgegnete ich, aber er hatte recht. Was sollte dazwischenkommen? Ich würde mich im nächsten Jahr bestimmt nicht verschlechtern, ganz im Gegenteil, und wenn ich mit Sabine Mathe pauken musste! Höchstens meine gesellschaftliche Arbeit konnte ein Problem werden, aber vielleicht konnte ich mir noch ein paar Pluspunkte holen, wenn ich Altstoffe sammelte und einmal mehr zu den FDJ -Veranstaltungen ging.
»Also wenn du dir ’nen Iro scheren lässt, wird das wirklich nix.« Er musterte mich, als würde er sich die Frisur gerade an mir vorstellen. »Aber meine Jungs würden dich urst fetzig finden!«
»Deine Jungs würden mich sicher auslachen«, gab ich zurück. »Ich bin nun mal keine Punkerin wie diese Kati.«
»Du meinst, Krätze.« Krätze war Katis Punkername.
Seltsamerweise hatte sich Lorenz noch keinen zugelegt. Mein Vorschlag, sich Lorenzo nach der Figur aus Romeo und Julia zu nennen, hatte er abgelehnt. Das würde zu brav klingen. »Punkernamen müssen sich nach Dreck anhören. Aber die besten sind bei uns schon weg, und stell dir mal vor, jemand ruft Ratte und gleich drei gucken sich um!«
»Na gut, meinetwegen Krätze.«
»Die ist schwer in Ordnung. Sie könnte dir sogar zeigen, wie man das mit der Farbe macht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nee, lass mal, ich lass meine Haare so, wie sie sind.« Wie sollte mich Claudius denn sonst wiedererkennen, wenn er doch mal wieder herkam?
Wir bogen in die Schönhauser ein und stiefelten dann in Richtung Bahnhof. Wenn Lorenz nicht am Alex war, saß er manchmal am S-Bahnhof und beobachtete die Züge. Meist hatte er ein Buch dabei, in das er irgendwelche Anmerkungen kritzelte. Auch diesmal steckte irgendwas in der Gesäßtasche seiner hässlichen Anzughose, wegen des ollen Sakkos konnte ich das aber nicht erkennen.
»Aber wenn du doch mal auf unsere Seite wechseln willst, sag mir Bescheid«, knüpfte er an unsere vorherige Unterhaltung an. »Neulich gab es ein starkes Konzert in der Gethsemanekirche. Das hättest du hören sollen! Und überhaupt ist da ’ne Menge los.«
»Was denn?«, fragte ich und kam mir dabei ziemlich dumm vor. Und warum zum Teufel hatte Lorenz mir nichts von dem Konzert erzählt?
»Guckst du nicht Westfernsehen?«, fragte er ein wenig erstaunt zurück.
»Klar!«, entgegnete ich. »Erst neulich hab ich gesehen, dass sie in Ungarn die Grenze aufgemacht haben.«
Lorenz grinste breit. »Bist ja doch nicht aus dem Tal der Ahnungslosen! Das war toll, ne? Die machen einfach die Grenze auf und lassen alle rüber, die rüberwollen, ohne auf sie zu schießen. Stark! Ich werd mir ’ne Ungarnfahne an die Jacke nähen.«
»Und was hat das nun mit deinem Konzert zu tun? Habt ihr das in der Kirche gefeiert?«
»Auf eine Art schon. Aber das meinte ich nicht.« Lorenz überlegte einen Moment lang, als fragte er sich, ob ich vertrauenswürdig genug sei, um mir davon zu erzählen. »Seit einiger Zeit treffen sich die Leute in den Kirchen und reden darüber, was in unserem Land besser gemacht werden könnte. Viele von denen wollen in den Wesen rübermachen, bis sich hier was geändert hat. Damit sie keinen Ärger kriegen, geben ihnen die Kirchen Asyl.«
Eine Ahnung überkam mich. Alle wussten, dass Kirchen von der Stasi überwacht wurden. Hatte Lorenz seinen Ärger in der Schule vielleicht auch
Weitere Kostenlose Bücher