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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Tasche.
    »Dann mach’s gut, Kleine.«
    Ich verabschiedete mich und stürmte mit der Tasche über der Schulter nach draußen.
    Sabine wartete natürlich wieder an der Ecke. Hoffentlich fing sie heute nicht schon wieder damit an, ob sich der Junge gemeldet hatte. Seit Tagen nervte sie mich damit schon. Klar ging er mir nicht aus dem Kopf, aber wenn ich ihn nicht wiedersah, musste ich doch darüber nicht mehr reden, oder?
    »Acht lange Wochen Ferien!«, tönte Sabine und riss die Arme hoch, während wir zur Bahn gingen.
    »Ja, und du zwei Wochen mit deiner Familie unterwegs«, entgegnete ich. »Du hast es gut!«
    »Aber leider nicht nach Budapest«, maulte sie. »Ich hab schon so viel Tolles davon gehört!«
    Ich auch. Aber ich war mir absolut nicht sicher, ob wir dasselbe meinten.
    Die Öffnung der ungarischen Grenze schien für Sabine nicht passiert zu sein. Da ich wusste, wie überzeugt sie noch immer vom Sozialismus war, hatte ich mich nicht getraut, es zur Sprache zu bringen. Und sie selbst hatte nicht davon angefangen.
    Der Einfachheit halber stimmte ich ihr zu, wie toll Budapest sei. Dort sollten die Läden voll sein, dort sollte es hin und wieder auch Westwaren geben und Fast-Food-Lokale wie drüben das McDonald’s. Und dort sollte man ganz normal Westplatten kaufen können, nicht etwa altes Zeug, das tausend Jahre später bei Amiga rauskam, sondern die richtigen, frischen Platten von Depeche Mode und Bowie und so weiter.
    Hinter meiner Stirn jedoch sah ich noch immer die Menschen, die durch den zerschnittenen Grenzzaun fuhren.
    Gleich im Foyer des Schulgebäudes stießen wir auf eine Menschentraube. Was war da los? Hatte hier auch jemand irgendeinen Zaun durchschnitten?
    Das plötzliche Zwicken in meiner Magengrube sagte mir, dass es irgendwas mit Lorenz zu tun haben musste.
    »Komm, schauen wir mal nach!«, sagte ich zu Sabine und zerrte sie am Ärmel mit mir.
    »He, warum denn?«, fragte sie, aber da waren wir schon bei den anderen.
    Bei dem Auflauf hätte ich mindestens eine Schlägerei erwartet, doch Lorenz stand nur grinsend in der Mitte – in einem Anzug.
    Ich schüttelte den Kopf, zwinkerte – litt ich an Halluzinationen? Nein, als ich die Augen öffnete, war Lorenz noch immer da. Lorenz mit dem pinkfarbenen Iro auf dem Kopf, den er sich zur Seite gekämmt und mit Florena-Creme angeklatscht hatte, in einem senfgelben Anzug, der vielleicht seinem Opa gehörte. Darunter trug er sein FDJ -Hemd, dessen Dunkelblau in wahnsinnig schlimmem Kontrast zu dem Gelb stand. Aber der Direx würde nichts daran aussetzen können, denn nach seinen Maßstäben war das »ordentlich gekleidet«.
    »Was ist denn hier los?«, donnerte plötzlich die Stimme von Frau Heinrich über unsere Köpfe hinweg. Auch sie schien eine Schlägerei zu vermuten und auch sie wirkte mächtig überrascht, als sie Lorenz sah. Dass er jetzt zu punkig aussah, konnte man ihm nicht mehr vorwerfen. Geschmacksverkalkung eher, aber gab es dafür auch einen Tadel? Oder ein Schreiben an die Eltern?
    Frau Heinrich stand da wie versteinert. Alle warteten. Na, würde sie ausrasten?
    Nein, sie schwieg. Hinter ihrer Stirn schien es zu rattern, aber das, was sich in ihrem Hirn zusammenbraute, fand nicht den Weg nach draußen.
    Lorenz grinste weiter, sagte aber nichts, bis uns endlich das Klingeln zur ersten Stunde erlöste. Frau Heinrich und Lorenz standen sich noch einen Moment gegenüber wie Cowboys, die vorhatten, sich ein Duell zu liefern. Doch dann rief die Lehrerin: »Ab in eure Klassen!«
    Erst kurz vor dem Geografie-Raum, in dem uns auch am letzten Tag die zerfledderte Weltkarte erwartete, wurde mir klar, dass das der beste Moment des gesamten Schuljahres gewesen war. Lorenz im Anzug. Lorenz, der es allen zeigte!
    Auch unser Geo-Lehrer, ein grobknochiger Mann, der eine Vorliebe für grüne Anzüge hatte, die immer stark nach Mottenkugeln rochen, wirkte erstaunt über Lorenz’ Aufzug.
    Ich musste kichern, als ich die beiden nebeneinander sah. Es schien, als hätten sie ihre Anzüge aus dem gleichen Textilkombinat. Jedenfalls waren sie so geschnitten, und bis auf die Farbe sahen sich die Stoffe ziemlich ähnlich. Vielleicht war Herr Rehfeld aber nur deshalb so verdattert, weil er sich fragte, woher er diesen fetzigen Anzug bekommen könnte.
    An diesem Tag war Lorenz der Star. Egal, wo er auftauchte, überall gab es Lachen und Johlen – das, was er beabsichtigt hatte. Einige glaubten fest daran, dass er dafür wieder zum Direx wandern musste –

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