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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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besser.«
    Das war der zweite Angriff. Erst fand er mich süß, jetzt gefiel ich ihm besser als Kino. Mein Körper konnte sich nun gar nicht mehr entscheiden, ob ihm warm oder kalt sein sollte.
    Wir brauchten einen Ort zum Reden, einen Ort, an dem wir nicht von Passanten angeglotzt wurden. Einen Ort, an dem ich ihn in Ruhe ansehen konnte, ohne dass Lorenz aufkreuzte.
    »Und wo schleppst du mich jetzt hin?«, fragte er, als ich ihn wieder am Arm zog.
    »Weiß nicht. Irgendwohin.«
    Ich wusste nur einen Ort, an den wir gehen konnten – den Humannplatz! Um diese Zeit spielten dort die Kinder, aber wir fanden eine ruhige Ecke unter einem Baum, von dem aus man den Kleinen zusehen und ungestört reden konnte.
    »Hast du gesehen, dass sie die Grenze …«
    Das gibt’s doch nicht! In dem Augenblick, wo ich damit anfing, begann auch Claudius damit. Als hätten wir uns abgesprochen!
    Da ich stockte, vollendete er den Satz allein: »… zwischen Ungarn und Österreich geöffnet haben?«
    Ich nickte ihm zu. »Ja, das habe ich. Und ich habe mir seitdem jemanden gewünscht, mit dem ich darüber reden kann. Mit Sabine und meinem Vater geht das nicht. Sabine ist vollkommen überzeugt davon, dass der Kommunismus siegen wird, und Papa hat ein ganz komisches Gesicht gezogen, als die Bilder über die Mattscheibe geflimmert sind.«
    »Gefällt es ihm nicht, dass die Ungarn jetzt in den Westen reisen können?«
    »Ich weiß es nicht. Er hat bisher noch nicht drüber gesprochen. Und ich frage ihn auch nicht. Seit mein Bruder bei der Armee ist, fehlt der Schlichter zwischen uns, wenn mal was hakt. Papa ist eigentlich sehr nett, aber er kann auch ziemlich böse werden und schimpfen, und wenn wir uns erst mal streiten, habe ich manchmal keine Lust nachzugeben.«
    »Kann ich verstehen«, entgegnete Claudius, während er mich wieder ausgiebig musterte. »Mein Vater kann auch manchmal ziemlich schwierig sein.«
    »Wieso denn das? Ist er auch nicht begeistert darüber, dass die Grenze in Ungarn offen ist?«
    »Keine Ahnung. Genau genommen weiß ich ohnehin nur sehr wenig von ihm, und es wird mit jedem Jahr weniger.«
    »Wieso denn das? Lebt dein Vater nicht bei euch?«
    »Doch, doch! Das ist ja gerade das Komische. Er wohnt bei uns, ich sehe ihn am Tag aber höchstens eine Stunde. Wir reden so gut wie nie miteinander, ich kann mich auch nicht erinnern, dass er, als ich klein war, sonderlich viel mit mir gespielt hätte. Gespräche zwischen uns gibt es nur, wenn er irgendwas an mir auszusetzen hat.«
    Claudius machte eine Pause und starrte auf seine Hände. Ich wusste nicht, was seinem Vater nicht an ihm passen sollte. Claudius war einfach toll!
    »Was hat dein Vater denn an dir auszusetzen?«, fragte ich also.
    »Na ja, eine Menge. Zum Beispiel, dass ich nicht, wie er es will, Jura studieren möchte.«
    Ich versuchte, mir Claudius als Anwalt vorzustellen. Klappte nicht. Schon gar nicht in Jeans und T-Shirt.
    »Und was willst du später machen?«
    »Als Musiker um die Welt ziehen. Überall spielen, wo Leute sind, Erfahrungen sammeln, etwas sehen.«
    »Und wenn das nicht hinhaut?«
    »Dann werde ich vielleicht Journalist. Reisejournalist am besten. Dann kann ich meine Gitarre auf Reisen mitnehmen. Aber erst einmal will ich spielen. Vielleicht gründe ich ja eine Band.«
    »Und was für eine? Rock nehme ich an. Wie ein Popper siehst du nicht aus, auch wenn du Bowie hörst.«
    »Der Thin White Duke ist doch kein Popper!«, entrüstete sich Claudius. »Okay, seine Klamotten sind immer poppiger geworden, aber in seiner Zeit in Neukölln war er alles andere als ein Popper.«
    »Aber dort hat er mit Iggy Pop gewohnt …«
    Ich sah Claudius an, in der Hoffnung, dass er den Witz gerafft hatte. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis seine Mundwinkel nach oben gingen.
    »Der war so richtig schlecht«, sagte er, schüttete sich dann aber doch vor Lachen aus. Und ich auch, denn Claudius’ Lachen war wahnsinnig ansteckend.
    Die Uhr stand auf zehn vor halb acht, als wir auf dem Bahnsteig ankamen. Mein Vater wunderte sich bestimmt schon, wo ich abgeblieben war. Aber das versuchte ich auszublenden.
    »Hast du eigentlich schon mal den Tränenpalast gesehen?«, fragte mich Claudius, nachdem wir eine Weile beklommen dagestanden hatten.
    »Du meinst die Halle, in dem wir unseren Westbesuch verabschieden müssen?«
    Claudius nickte. »Du hast also schon davon gehört.«
    »Klar, als ich noch kleiner war, haben wir dort Onkel Erwin zum Zug gebracht.« Nur noch

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