Und morgen am Meer
würden die Nachbarn Papa keine Ruhe lassen, wenn sie sehen würden, dass ich mit einem fremden Jungen in die Wohnung ging. Und dann würde er mir keine Ruhe lassen, was beinahe noch schlimmer war.
Die Wohnungstür war natürlich ins Schloss gefallen, aber diesmal hatte ich vorgesorgt und trug für alle Fälle einen Wohnungsschlüssel in der Hosentasche.
Als wir in den Flur eintraten, von dem die Küche, das Wohnzimmer und Papas Schlafzimmer abgingen, sah sich Claudius ein wenig zu skeptisch um, wie ich fand.
Klar, so toll wie eine Wohnung im Westen war es hier nicht. Unsere Möbel waren bunt durcheinandergewürfelt, je nachdem, wann es was gegeben hatte. Der Küchentisch, aus dem man einen Abwaschtisch herausziehen konnte, stammte noch aus den Fünfzigern, genauso wie die Stühle. Die Küche selbst war etwas jünger, Papa hatte sie gekauft, kurz nachdem wir hierhergezogen waren. Im Wohnzimmer stand eine wuchtige, mit grobem rotem Stoff bezogene Couch. Auf der Anbauwand aus Buna reihten sich Bücher, Bilder und allerhand Krimskrams auf, von dem sich Papa nicht trennen konnte. Da war zum Beispiel ein kleines Buddelschiff mit einer Ansicht von Rostock auf dem Sockel, daneben stand ein Bilderrahmen mit einer verwaschenen Farbfotografie, die Mirko und mich am Strand von Warnemünde zeigte, und natürlich war da auch noch immer der schreckliche Rehfuß-Flaschenöffner, vor dem ich mich seit Kindertagen gruselte, nachdem Mirko mir erzählt hatte, dass es ein echter präparierter Rehfuß war. Sicher, die Sachen mochten auf einen wie Claudius seltsam wirken, genauso wie die alten rauen Sofakissen, aus denen ich mir eine dieser tollen Taschen nähen wollte, sobald Papa mir erlaubte, sie auszumustern, oder die Bilder an der Wand, die meist Landschaften zeigten und Erbstücke von meiner Ur-Urgroßmutter – einer Malerin – waren, und die Stehlampe mit dem Plastikschirm, der wie ein Faltenrock aussah.
Aber alles war ordentlich und sauber, ich brauchte mich nicht zu schämen.
»Nett habt ihr es hier.« Ich merkte deutlich, dass er einfach nur höflich sein wollte. Das machte mich beinahe ein bisschen sauer. Aber andererseits, konnte man es ihm verdenken?
»Was ist hinter den Türen?«, fragte Claudius, als wir das Wohnzimmer wieder verlassen hatten.
»Die Zimmer von meinem Vater und meinem Bruder«, antwortete ich. »Sperrgebiet.«
Claudius lachte kurz und deutete dann nach vorn. »Und da?«
»Da ist mein Zimmer«, sagte ich und führte ihn zu der Tür, durch deren Fenster man das Zimmer dahinter wie durch Regentropfen sehen konnte.
»Auch Sperrgebiet?«, wollte Claudius wissen, doch ich schüttelte den Kopf.
»Nein, hier kannst du rein. Aber auf eigene Gefahr!«
Mein Zimmer war klein und ebenfalls nicht besonders toll eingerichtet, aber es war mein eigenes.
Papa war immer noch stolz darauf, dass er damals für uns eine Dreieinhalbzimmerwohnung bekommen hatte. Für DDR -Verhältnisse war das der reine Luxus, viele meiner Klassenkameraden mussten sich ihre Zimmer mit Geschwistern teilen. Mirko und ich hatten jeweils ein eigenes Zimmer – Mirko als der Ältere das ganze und ich das halbe. Mittlerweile war Mirko nur noch dann da, wenn er Freigang bekam. Wenn er mit der Armee fertig war, wollte er Maschinenbau studieren. Ich hoffte ja, dass er noch eine Weile in Berlin bleiben würde, doch ich wusste, dass es ihn aus der Stadt fortzog. Irgendwo anders hin.
Als ich die Tür öffnete, schielte ich zu Claudius. Er wirkte jetzt nicht mehr skeptisch, sondern neugierig.
Anstelle eines Bettes hatte ich eine Schlafliege, die man tagsüber als Couch nutzen konnte. Gleich daneben stand mein Schreibtisch. Für einen Kleiderschrank reichte es nicht, dafür hatte ich eine alte Kommode, die mal meiner Großmutter gehört hatte. Das rotbraune Holz war schon ein bisschen wurmstichig, aber es hielt besser als die Spanplatten von Mirkos Kleiderschrank, den er schon mehrfach hatte flicken müssen.
Auf der Kommode stand das Radio, das noch immer mit dem Stern-Kassettenrekorder verbunden war. Ein seltsames Pärchen, denn der Rekorder sah noch sehr neu aus und das Radio … na ja.
Da ich keine hohen Schränke in meinem Zimmer hatte, hatte ich viel Platz an den Wänden. Über dem Bett hing meine Postersammlung, das heißt Poster und Fotos von Postern.
»Keine Wandzeitung?«, wunderte sich Claudius, doch ich merkte, dass er das nicht ernst meinte.
»Nee, die muss ich doch immer in der Schule abgeben«, antwortete ich und lotste ihn
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