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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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zum Stuhl. »Hier, setz dich, brauchst dir nicht die Beine in den Bauch zu stehen.«
    Ich bemerkte, dass er sich jetzt die andere Wand ansah, die über der Kommode und dem seltsamen Radio-Rekorder-Pärchen. Dort hingen ganz andere Bilder, die meisten aus irgendwelchen Zeitschriften ausgeschnitten. Tatsächlich hatte es in der Urania mal einen Bericht über Verona gegeben und Fotos vom Mittelmeer! Die Urania gab es zwar nur selten, aber wenn man sie bekam, konnte man Glück haben und Fotos aus dem Ausland sehen. Ich hatte diese Bilder abfotografiert und dann vergrößern lassen. Postergröße hatten sie zwar nicht, auch wirkten sie ein wenig verwaschen, aber wenn ich auf meiner Liege lag und ein bisschen Fantasie aufwendete, konnte ich mir vorstellen, am Meer zu sein.
    »Willst du nach Italien?«
    »Ja, nach Verona. Und ans Mittelmeer«, entgegnete ich.
    »Warum gerade Verona?«
    »Wegen Romeo und Julia. Aber es liegt nicht an mir, dass ich es noch nicht geschafft habe. Wir dürfen halt nicht ins nichtsozialistische Ausland reisen.«
    »Warum eigentlich nicht?«
    »Weil unser Staatsratsvorsitzender glaubt, dort würden wir nur unter schlechten Einfluss geraten. In Wirklichkeit fürchten sie aber, dass wir all die Westwaren sehen könnten und die auch zu Hause haben wollen.«
    Claudius schwieg zunächst erschüttert.
    »Was machen deine Eltern eigentlich beruflich?«, fragte er dann, nachdem er noch mindestens fünf Minuten lang seine Hände angestarrt hatte. Seine schönen langen, weichen Hände.
    »Mein Vater arbeitet in einem Kombinat für Baustoffe. Gasbeton und so. Er arbeitet in Schichten und weil er gerade Tagschicht hat, wird er nicht vor acht wieder hier sein.«
    Claudius senkte den Kopf. Die nächste Frage konnte ich ihm beinahe ansehen. Komisch, und dabei kannten wir uns ja erst seit Kurzem.
    »Und wenn du dich fragst, was mit meiner Mutter ist.« Ich sah, wie er kurz zusammenzuckte, als hätte ich ihn bei irgendwas ertappt. Ja, genau das schien er sich gefragt zu haben. Immerhin hatte ich bisher wie selbstverständlich nur von meinem Bruder und Papa erzählt.
    »Meine Mutter ist schon vor vielen Jahren bei einem Autounfall umgekommen. Da war ich gerade zwei, und eigentlich kann ich mich nicht mehr gut an sie erinnern. Genau genommen gar nicht. Alles, was ich von ihr kenne, ist ein Foto, das Papa mir mal gezeigt hat. Ein einziges Mal. Er ist noch immer nicht darüber hinweg, dass sie ihn verlassen hat.«
    »Und er wollte nie noch mal heiraten?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, heiraten nicht. Er hatte hin und wieder eine Freundin, aber es ist nie mehr daraus geworden. Zum Glück, denn einige von denen fand ich richtig doof. Die hätte ich nie als Stiefmutter haben wollen.«
    Claudius blickte beklommen auf die Spitzen seiner Turnschuhe. Echte Adidas, wie mir jetzt auffiel. Hatte er die bei den letzten Treffen schon getragen?
    »Keine Bange, es ist schon in Ordnung für mich«, beruhigte ich ihn für den Fall, dass er meinte, der Tod meiner Mutter hätte mich schwer mitgenommen. »Manchmal wünschte ich mir zwar, dass sie noch da wäre, aber das ist sie nicht, und wenn ich Probleme habe, wende ich mich an Mirko oder Sabine. Und manchmal auch an Lorenz, wenn’s nichts Ernsthaftes ist.«
    Claudius sah mich an, dann streckte er die linke Hand aus und ergriff meine rechte. »Wenn du etwas hast, das du mit all diesen Leuten nicht besprechen kannst, kannst du dich ab sofort an mich wenden. Wenn ich die Antwort nicht selber weiß, kriege ich sie für dich raus, versprochen.«
    »Danke«, antwortete ich ein wenig zaghaft, denn ich konnte in diesem Augenblick nur dem Gefühl seiner Hand auf meiner Haut nachspüren. Seine Finger waren kräftig, aber auch weich und vorsichtig, als hätte er Angst, mir wehzutun. Aber das tat er nicht. Und meinetwegen hätte seine Hand auf Ewigkeiten dort bleiben können.
    Doch dann zog er sie genauso sanft zurück, wie er mich gehalten hatte. Schade, dachte ich, und wünschte mir, dass er mich bald wieder berühren würde.
    »Wollen wir nicht spazieren gehen?«, schlug ich vor. »Ich hab noch ein bisschen Taschengeld, wir könnten uns eine Milchbar suchen.«
    »Milchbar?« Wieder dieser ungläubige Ton. Würde er ihn jemals verlieren? Wenn er mich etwas länger kannte, bestimmt.
    »Man kann auch Eisdiele dazu sagen«, klärte ich ihn auf. »Die Auswahl an Eis ist nicht besonders groß, aber wenn wir Glück haben, bekommen wir eine gute Sorte und vielleicht auch noch Erdbeeren

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