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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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gesteckt, bei der wir gelernt haben, Zelte aufzurichten und uns in der Natur zurechtzufinden. Aber so was würde ich gegenüber meinen Kumpels nie zugeben, denn damit würden sie mich stundenlang aufziehen und ich steh nicht auf solche Diskussionen.«
    »Aber mir erzählst du es.« Ich lächelte in mich hinein und genoss es, etwas über ihn zu wissen, was nicht mal seine Freunde wussten.
    »Wir sind ja gewissermaßen Leidensgenossen. Immerhin warst du bei den Pionieren.«
    Ich seufzte, dann grinste ich in mich hinein. Wenn ich daran dachte, wie ich auf dem Passbild ausgesehen hatte, das in den kleinen blauen Pionierausweis geklebt war!
    »Warum grinst du?«, fragte Claudius, während er mich lächelnd musterte.
    »Ich dachte an mein erstes Erlebnis beim Fotografen.«
    »Und wie kommst du jetzt darauf?«
    »Weil wir als Pionier alle kleine Ausweise bekommen haben.«
    »Den würde ich zu gern mal sehen!«, rief Claudius begeistert.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob du das wirklich willst. Ich sehe auf dem Bild aus, als hätte ich gerade einen Horrorfilm gesehen. Mit riesengroßen Augen!« Sollte ich ihm wirklich davon erzählen? Na gut, er hatte mir gerade von seiner kirchlichen Pfadfindergruppe erzählt … »Da war ich sechs und zum ersten Mal bei einem Fotografen. Das war so ein alter Mann, dessen Laden vorn schon sehr dunkel war. Und dann musste man beim Fotografieren nach hinten, bekam so einen Schirm hingestellt und ein Ding auf drei Beinen, das obendrein blitzte. Ich hatte furchtbare Angst, und der Fotograf brauchte zehn Anläufe, um wenigstens
ein
brauchbares Bild hinzubekommen. Papa war schon ganz wütend, die Leute im Laden hinter uns auch und Mirko hat sich nicht mehr eingekriegt vor Lachen.«
    »Ich würde das Bild wahnsinnig gern sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hässlich ist.«
    »Ich habe auch nicht behauptet, dass es hässlich ist. Ich sehe darauf nur erschreckt aus.«
    Lächelnd lehnte ich mich an seine Schulter. Obwohl wir den ganzen Tag unterwegs gewesen waren und keine Gelegenheit gehabt hatten, uns zu waschen, roch er immer noch gut. Die Wärme, die von ihm ausging, umfing mich und gab mir das Gefühl von Sicherheit, dass ich die Augen schließen und einfach an nichts denken konnte.
    Nachdem wir uns etwas vom Proviant genommen hatten – viel war es nicht, aber es würde reichen, um uns jetzt und morgen früh satt zu machen – beschlossen wir, uns hinzulegen.
    Wenn wir in aller Frühe fuhren, konnten wir dem Tagesverkehr ein wenig aus dem Weg gehen und die Zeit nutzen, um uns in irgendeinem kleinen Dorf etwas zu essen zu kaufen.
    Obwohl ich todmüde war, lag ich in der Nacht lange wach und lauschte den Geräuschen ringsherum. Es war seltsam. Die Tiere des Waldes schienen uns gespürt und so lange gewartet zu haben, bis wir im Zelt verschwunden waren.
    Nun hörte ich, wie etwas durch das Korn tapste, etwas an unserer Zeltplane kratzte oder darüber hinwegflog. Es raschelte, zirpte, sang – und irgendwo in der Ferne rief ein Kuckuck.
    Als ich klein war, war ich ein einziges Mal in meinem Leben in einem Pionierferienlager. Wir hatten in Holzbaracken geschlafen, die in der Nähe eines Waldes standen. Alle Geräusche ringsherum waren zu hören gewesen. Aber nicht so, wie ich sie jetzt wahrnahm. Nie hätte ich gedacht, dass es außerhalb der Stadt nachts so lebhaft zuging.
    Obwohl ich eigentlich keine Angst empfand, kuschelte ich mich an Claudius, dessen tiefe und gleichmäßige Atemzüge verrieten, dass er bereits eingeschlafen war. Seine Nähe und Wärme waren wie eine Decke, und nur kurz dachte ich noch daran, wie schutzlos der Mensch doch im Schlaf war. Dann verschwammen alle Gedanken und wurden zu einem Traum von Meer und Romeo und Julia.
27. Juli 1989
Claudius
    Der Kuckuck nervte. »Blöder Vogel!«, murrte ich, während ich die Augen aufschlug. Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Helles Licht auf einer Zeltplane.
    Ja, ich war immer noch in dem muffig riechenden Zelt und neben mir lag Milena. Auch sie hatte der Vogel aus dem Schlaf gerissen. Murrend wälzte sie sich herum.
    Gestern Abend war ich dermaßen kaputt gewesen, dass ich es noch ignorieren konnte. Doch jetzt ging mir der Kuckuck gehörig auf den Geist!
    »Vielleicht wäre es doch gut, wenn jetzt mal ein Jäger vorbeikäme«, knurrte ich,
    »Lass ihn doch«, entgegnete Milena und schmiegte sich an meinen Arm. »Mein Opa hat früher mal behauptet, dass man am Ruf des Kuckucks abzählen kann, wie lange man noch

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