Und morgen am Meer
und weiter hinten ein Saporoschez.«
»Klingt alles sehr russisch.«
»Ist es auch. Die meisten Wagen, die hier neben Trabant und Wartburg fahren, stammen aus russischer Produktion. Bei uns gibt es einen Witz über die Saporoschez. Warum dauert es dreißig Jahre, bis man einen bekommt?«
»Keine Ahnung.«
»Weil Iwan Feilowitsch ihn mit einer Handfeile aus einem Stahlblock raspelt.«
Milena kicherte. Ich wusste mit dem Witz nichts anzufangen, was sie auch gleich bemerkte.
»Ach, komm schon, der ist doch lustig!«
»Wahrscheinlich verstehe ich ihn nur nicht richtig«, gab ich zurück. »Bei uns wartet ja keiner dreißig Jahre auf einen Wagen.«
»Stimmt auch wieder«, gab Milena zurück. »Hier gibt es viele Witze über den Mangel. Die Menschen bewahren sich damit wohl selbst davor, verrückt zu werden.«
Als wir auf das Grenzhäuschen zukamen, bekam ich weiche Knie. Ich sah, wie gründlich die deutschen Grenzer die Pässe prüften. Ein Stück weiter vor uns stand ein Fahrzeug mit Wolfsburger Kennzeichen. Als ich sah, wie finster die Miene des Grenzers wurde, der sie kontrollierte, rutschte mir das Herz in die Hose.
Jetzt fielen mir auch wieder all die Dinge ein, die ich von meinem Vater bezüglich des Transitverkehrs aufgeschnappt hatte – oder besser gesagt, worüber er sich beschwert hatte. So durfte man nur an bestimmten Übergangsstellen rüber, musste so schnell wie möglich das Gebiet der DDR passieren und so weiter. Ich war nicht auf einer Transitstrecke unterwegs, hatte keine Stempel und man würde sich fragen, wie ich wohl in die DDR gekommen war. Nein, das war mir zu heiß!
Als ich wieder zu den Wolfsburgern schaute, wurde der Fahrer gerade angewiesen, sein Fahrzeug an die Seite zu fahren, wo schon andere Grenzer warteten. Die konnten sich jetzt auf was gefasst machen!
Mich durchfuhr es heiß und kalt. Vor uns waren noch drei Trabis, die in Windeseile durchgewunken werden würden.
Die Sache war verfahren.
»Es wird besser sein, wenn ich mich als DDR -Bürger ausgebe«, flüsterte ich Milena zu. »Mit meinem Ausweis komme ich hier nie durch.«
»Und ohne DDR -Ausweis auch nicht«, entgegnete Milena besorgt. »Was machen wir nun?«
»Sollte ich wirklich nicht rüberkommen, dann gehst du erst mal allein. Ich werde schon eine Möglichkeit finden.« Ich sah ihr an, dass ihr das überhaupt nicht gefiel.
Aber hatten wir eine andere Möglichkeit?
Schließlich waren wir an der Reihe.
»Die Papiere bitte!«, sagte der Grenzer, ein untersetzter Mann mit ergrautem Haar, streng.
Milena förderte ihren Personalausweis zutage. Nicht ganz ohne gemischte Gefühle, wie ich ihr ansehen konnte, denn möglicherweise hatte man die Grenzer auch über ihr Verschwinden informiert.
Der Uniformierte blätterte Milenas Perso durch, verglich das Bild mit ihrem Gesicht und reichte ihr den Ausweis zurück. Jetzt war ich an der Reihe. Zeit, zu zeigen, was ich beim darstellenden Spiel draufhatte!
Ich durchsuchte panisch meine Taschen, blickte den Grenzer dann entsetzt an. »Ich glaube, ich habe meine Papiere zu Hause liegen lassen!«
Der Mann mit den fahlblauen Augen musterte mich von oben bis unten. »Ohne Ausweis kommen Sie hier nicht durch.«
»Können Sie denn nicht eine Ausnahme machen?«, flehte Milena und sah den Mann mit großen Augen an. »Wir wollten ein paar Tage nach Pilsen, Urlaub machen.«
»Dieser junge Mann ist Ihr Freund?«
Milena nickte.
»Nun, da er volljährig ist, braucht er seinen Personalausweis. Anderenfalls kann ich ihm die Ausreise nicht gestatten. So sind die Vorschriften.«
Der Grenzer sah nicht so aus, als wollte er davon abrücken.
Milena kniff wütend die Lippen zusammen. Ich seufzte. Also gut, dann Plan B.
»Geh schon«, sagte ich zu ihr. »Wir treffen uns auf der anderen Seite. Ich hol nur meinen Pass, dauert nicht lange.« Ich hätte ihr am liebsten zugezwinkert, aber das ließ ich angesichts des wachsamen Grenzerblicks bleiben.
Milena sah mich ängstlich an, denn sie wusste, dass es da nichts zu holen gab.
Doch dann fragte sie: »Was ist mit dem Motorrad, darf ich das wenigstens schon mit rübernehmen?«
Der Grenzer überlegte.
»Ich verspreche Ihnen, dass ich nicht damit fahre!«, setzte Milena hinzu. »Die Maschine gehört meinem Bruder, er hat sie uns für die Reise geliehen. Die Papiere habe ich da.«
»Dann zeigen Sie mir die doch mal.«
Milena griff in ihren Rucksack. Auch dieses Dokument studierte er sorgsam, da ihr Bruder unter derselben Adresse gemeldet war
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