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Und morgen bist Du tot

Und morgen bist Du tot

Titel: Und morgen bist Du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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diesen Worten überlief sie ein Schauer.
    »Haben Ihre Kolleginnen auch langes braunes Haar? Haben die auch eine Tochter, die eine Lebertransplantation braucht?«
    Entsetzt knallte Lynn den Hörer auf die Gabel. Woher zum Teufel wusste er das? Kurz darauf klingelte ihr Handy. Sie meldete sich sofort und stieß ein barsches »Ja?« hervor, da sie mit Reg Okuma rechnete.
    Aber es war Caitlin. Und sie hörte sich schrecklich an.

53
    MANCHMAL SEHNTE SICH Ian Tilling nach der Arbeit bei der britischen Polizei. Oft sehnte er sich auch zurück nach England, obwohl ihn schmerzliche Erinnerungen damit verbanden. Es geschah vor allem an jenen Tagen, an denen die eisige Kälte des rumänischen Winters jeden Knochen in seinem achtundfünfzigjährigen Leib zu gefrieren schien. Und an jenen Tagen, an denen ihn die chaotische Trostlosigkeit im vierzehnten Bezirk, die Bürokratie und Korruption und Herzlosigkeit seiner Wahlheimat besonders bedrückten.
    Wann immer er sich niedergeschlagen fühlte, kehrte er in Gedanken zu jenem furchtbaren Abend vor siebzehn Jahren zurück, als zwei Kollegen zu ihm nach Hause gekommen waren und ihm mitgeteilt hatten, dass sein Sohn Kevin bei einem Motorradunfall gestorben war.
    Doch es gab ein probates Mittel, um diesen Schmerz rasch zu vertreiben. Er erhob sich vom Schreibtisch in seinem mit gespendeten Möbeln eingerichteten Büro, das er mit drei jungen Sozialarbeiterinnen teilte, und unternahm einen Rundgang durch das Wohnheim, das er als Refugium für fünfzig Obdachlose dieser grausamen Stadt eingerichtet hatte. Dabei schaute er in die lächelnden Gesichter der Bewohner.
    Genau das würde er auch jetzt tun.
    Als Ceau ş escu 1967 an die Macht gekommen war, verfolgte er einen verrückten Plan, um Rumänien zur bedeutendsten Industrienation der westlichen Welt zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, musste es einen dramatischen Bevölkerungszuwachs geben, denn er brauchte Massen von Arbeitskräften. Eines seiner ersten Dekrete sah vor, dass alle Mädchen ab dem vierzehnten Lebensjahr einmal monatlich einen Schwangerschaftstest durchführen mussten. Wurden sie schwanger, verbot man ihnen die Abtreibung.
    Folglich explodierten binnen weniger Jahre die Familien, und die Nachkommen wurden als Kinder des Dekrets bekannt. Viele dieser Kinder gab man in staatliche Heime, wo sie in riesigen, seelenlosen Schlafsälen aufwuchsen und häufig brutal misshandelt und missbraucht wurden. Viele von ihnen flohen und lebten fortan auf der Straße. Auch heute hausten sie oft noch unter schrecklichen Bedingungen in Hüttensiedlungen, die entlang der öffentlichen Fernwärmerohre wucherten, die sich durch sämtliche Vororte zogen. Oder sie lebten in Höhlen unter der Straße. Abzweigungen dieser Leitungen versorgten jeden Wohnblock in der Stadt mit Fernwärme, die im Herbst eingeschaltet und im Frühjahr abgeschaltet wurde.
    Nach Kevins tragischem Tod zerbrach auch Tillings Ehe. Danach hatte er sich nicht mehr auf seine Arbeit als Polizist konzentrieren können. Er quittierte den Dienst, zog in eine Wohnung und verbrachte die Tage damit, endlos fernzusehen und sich ins Vergessen zu trinken. Eines Abends sah er einen Dokumentarfilm über das Schicksal rumänischer Straßenkinder, der ihn tief berührte. Ihm wurde klar, dass er vielleicht doch etwas Besseres mit seinem Leben anfangen konnte. Nichts würde Kevin zurückbringen, vielleicht aber konnte er anderen Kindern helfen, die es nie so gut gehabt hatten wie sein Sohn. Am nächsten Morgen rief er in der rumänischen Botschaft an.
    Er erinnerte sich, wie er das erste staatliche Kinderheim besucht hatte. Er betrat einen Schlafsaal, in dem fünfzig behinderte Kinder zwischen neun und zwölf Jahren in Gitterbetten lagen und vor sich hin oder an die Decke starrten. Sie hatten kein Spielzeug, keine Bücher, nichts, womit sie sich beschäftigen konnten.
    Er war kurzerhand losgegangen und hatte mehrere Säcke voller Spielzeug gekauft, das er an die Kinder verteilte. Zu seiner Verwunderung reagierten sie nicht darauf. Mit leeren Augen schauten sie die Spielzeuge an, und in diesem Moment wurde ihm klar, dass sie nichts damit anzufangen wussten. Es lag nicht daran, dass sie geistig zurückgeblieben waren, sondern dass man ihnen nie im Leben Spielzeug gegeben hatte. Sie wussten gar nicht, wie man spielte. Niemand hatte diesen Kindern irgendetwas beigebracht. Nicht einmal, mit einer Puppe zu spielen.
    Das war der Augenblick, in dem er sich entschloss, diesen Kindern zu

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