Und morgen bist Du tot
verlassen hatte. Da er ein schlechtes Gewissen hatte und sich um ihre geistige Stabilität sorgte, hatte er sich alle paar Monate mit Lynn zum Mittagessen verabredet. Sie fing immer mit der gleichen Frage an. Bist du glücklich?
In dieser Situation war jede Antwort falsch. Wenn er sagte, er sei glücklich, würde sie das nur noch unglücklicher machen. Also hatte er bei ihren ersten Verabredungen geantwortet, er sei nicht glücklich, worauf Lynn es sofort ihren Freundinnen weitererzählte. Da Brighton Großstadt und Dorf zugleich war, erfuhr Jane sehr schnell, dass er angeblich nicht glücklich mit ihr war.
Also hatte er sich darauf verlegt, die Frage mit einem neutralen Alles in Ordnung zu beantworten. Als er nun aber den Milchschaum von seinem Cappuccino löffelte und sie über den Plastiktisch hinweg anschaute, wurde ihm klar, dass sie über dieses Spielchen hinaus waren. Er empfand aufrichtiges Mitleid mit Lynn, die noch immer allein lebte, und war entsetzt, wie dünn sie seit ihrer letzten Begegnung geworden war.
Auch Lynn fiel es nicht leicht, sich mit Mal zu treffen. Das Älterwerden konnte ihm nicht viel anhaben, er sah sogar noch besser aus als früher, rauer und männlicher. Hätte er sie gebeten, zu ihm zurückzukommen, sie hätte keinen Moment gezögert. Sie brauchte ihn so sehr!
»Danke, dass du dir Zeit genommen hast«, sagte sie.
Er warf einen Blick auf die Uhr. »Kein Problem. Ich muss allerdings um ein Uhr los, um die Nachmittagsflut zu erwischen.«
Sie lächelte wehmütig und sagte ohne jeden Hintergedanken: »Mensch, wie oft hast du das zu mir gesagt. Ich muss die Flut erwischen. «
Ihre Blicke begegneten sich mit aufrichtiger Zärtlichkeit.
»Vielleicht sollte ich das auf meinen Grabstein setzen.«
»Das könnte schwierig werden. Du wolltest doch auf See bestattet werden.«
Er lachte. »Ja, das war …«
Er hielt mitten im Satz inne. Es würde ihr nicht gefallen, dass ihm Jane die Idee ausgeredet hatte, nachdem Lynn es jahrelang vergeblich versucht hatte.
Im Café war es still. Kurz nach zwölf, die Mittagsgäste waren noch nicht da. Die Kellnerin brachte das warme Corned-Beef-Sandwich für Mal und einen kleinen Thunfischsalat für Lynn.
»Du weißt, dass wir mit dem Bagger eine Leiche nach oben geholt haben? Es steht in allen Zeitungen.«
»Ich habe davon gelesen. Es muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein.«
»Hast du auch die Gerüchte dazu gehört?«
»Ich war so beschäftigt, dass ich die Zeitung nur überflogen habe.«
»Es war ein Junge, ein Teenager. Sie wissen nicht, woher er stammt, aber man munkelt, er sei wegen seiner Organe getötet worden. Irgendeine Bande stecke dahinter.«
»Das ist ja schrecklich. Aber es hat doch nichts mit Caitlin zu tun, oder?«
Sein besorgter Blick beunruhigte sie. »Danach wurden noch zwei weitere Leichen gefunden, denen ebenfalls innere Organe fehlen.«
Er schob sich den Löffel voller Schaum in den Mund, der einen weißen, mit Kakao bestäubten Kranz auf seiner Oberlippe hinterließ. Vor ein paar Jahren hätte sie sich vorgebeugt und ihn mit einer Serviette abgewischt.
»Was willst du damit sagen, Mal?«
»Du willst eine Leber für Caitlin kaufen. Weißt du überhaupt, woher die kommt?«
»Ja, von jemandem, der im Ausland bei einem Unfall gestorben ist. Meistens sind es Auto- oder Motorradunfälle, hat Frau Hartmann gesagt.«
Er schaute auf sein Sandwich, nahm die obere Brotscheibe ab und gab Senf auf das Fleisch. »Wie kannst du dir sicher sein, dass diese Leber koscher ist?«
Seine Haltung ärgerte sie zunehmend. »Soll ich dir was sagen, Mal? Solange sie gesund ist und passt, ist es mir ziemlich egal, woher sie kommt. Mir geht es nur darum, dass sie meine Tochter rettet. Tut mir leid, ich meine natürlich unsere Tochter«, betonte sie.
Er stellte den Senf weg und legte die Brotscheibe wieder über das rosige Fleisch. Er wollte hineinbeißen, legte es aber zurück auf den Teller, als wäre ihm plötzlich der Appetit vergangen.
»Scheiße«, sagte er kopfschüttelnd.
»Ich weiß, du hast andere Prioritäten.«
Wieder schüttelte er den Kopf. »250000 Pfund?«
»Ja. Aber seit einer Stunde sind es nur noch 225000. Meine Mutter hat 25000 in einem Bausparvertrag. Die würde sie mir geben.«
»Das ist sehr großzügig von ihr. Aber 225000 – das ist immer noch eine Wahnsinnssumme!«
»Ich arbeite in einem Inkassobüro. Diesen Satz höre ich zwanzigmal am Tag. Fast jeder meiner Klienten sagt mir: Unmöglich, völlig
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