Und morgen bist Du tot
Es gibt einige Länder, in denen man eine Transplantation erhalten kann, sofern man genügend Bargeld und Risikobereitschaft mitbringt.«
»Sie glauben also nicht, dass jemand in Großbritannien so etwas illegal durchführt?«
Der Chirurg wirkte aufgebracht. »Hören Sie, es geht nicht darum, einfach ein Organ zu entnehmen und in einen Empfänger einzusetzen. Sie brauchen ein großes Team, mindestens drei Chirurgen, zwei Anästhesisten, drei Krankenschwestern, ein Intensivteam und mehrere medizinische Spezialisten. Diese müssen entsprechend ausgebildet sein und die richtigen ethischen Voraussetzungen mitbringen. Ich spreche hier von fünfzehn bis zwanzig Personen! Wie wollen Sie die Leute daran hindern, etwas auszuplaudern? Das ist doch Unsinn!«
»Unseres Wissens gibt es in ebendieser Grafschaft eine Klinik, in der genau das passiert, Sir Roger«, behauptete Batchelor.
Sirius schüttelte den Kopf. »Wissen Sie was? Ich wünschte, es gäbe eine. Bei Gott, wie könnten wir jemanden gebrauchen, der dem System einen Tritt versetzt. Aber was wir hier erörtern, ist vollkommen unmöglich. Außerdem, warum sollte jemand hier das Risiko eingehen, wenn man im Ausland eine Transplantation erhalten kann?«
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen? Warum sind Sie nicht mit Ihrer Tochter ins Ausland gefahren?«
»Das habe ich ja getan«, sagte Sirius zögernd. Dann stieß er mit plötzlichem Zorn hervor: »Es war ein dreckiges Loch von Krankenhaus in Bogota. Unser armer Liebling ist an einer Infektion gestorben, die sie sich dort geholt hat.« Er funkelte die beiden Polizeibeamten an. »Reicht das?«
*
Eine halbe Stunde später waren sie auf dem Rückweg nach Brighton. Emma-Jane Boutwood brach das lange Schweigen, das zwischen ihnen geherrscht hatte, seit sie sich von dem Chirurgen verabschiedet hatten. Beide hatten ihren Gedanken nachgehangen.
»Ich fand ihn nett«, sagte sie. »Er hat mir leidgetan.«
»Ehrlich?«
»Er ist verbittert über das System. Der arme Kerl. Welch eine Ironie, dass einer der führenden britischen Transplantationschirurgen seine eigene Tochter nicht hat retten können.«
»Ein schweres Schicksal«, sagte Batchelor.
»Und ob.«
»Es liefert ihm aber auch ein Motiv.«
»Um das System zu verändern?«
»Oder es zu umgehen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe seine Augen beobachtet. Als er sich die drei Fotos anschaute, sagte er, er würde niemanden erkennen.«
»Stimmt.«
»Er hat gelogen.«
86
MANCHE MÄNNER KONNTE man von ihrem Äußeren her sofort einordnen. Extremer Kurzhaarschnitt, muskulöser Körperbau, schlechtsitzender Anzug und kraftstrotzender Gang weisen entweder auf Polizisten oder Soldaten in Zivil hin. Roy Grace hingegen wirkte trotz seines kurzgeschorenen Haars und der ramponierten Nase elegant, so dass man nicht unbedingt auf seinen Beruf schließen konnte.
Er trug einen Mantel, einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dezente Krawatte. Mit dem dicken Aktenkoffer hätte er als leitender Angestellter oder IT-Fachmann auf Geschäftsreise durchgehen können. Vielleicht auch als Eurokrat, Arzt oder Ingenieur, der auf dem Weg zu einer Konferenz war. Sein Gesicht wirkte entschlossen, gezeichnet von kleinen Sorgenfalten. Tief in Gedanken versunken, stand er auf dem Laufband.
Er war merkwürdig nervös. Die Reise war eigentlich ganz unkompliziert. Sein alter Freund Marcel Kullen würde ihn am Flughafen abholen und geradewegs zum Büro der Organhändlerin bringen, mit der er allein sprechen würde. Solange er behutsam vorging, wäre alles paletti. Eine rasche Unterredung, und dann zurück nach England.
Dennoch hatte er Schmetterlinge im Bauch. Es war die gleiche nervöse Erregung, die er vor einem Rendezvous verspürte, und er verstand den Grund einfach nicht. Vielleicht lag es an den großen Erwartungen, mit denen er das letzte Mal nach München gekommen war. Oder war er einfach müde? Bei Mordermittlungen schlief er nie gut, und auch diese verlangte viel Kraft. Hinzu kam, dass er den neuen Chief Constable beeindrucken wollte.
Er sah auf die Uhr und überholte einige Leute, bis ihm eine gehetzt wirkende Mutter mit einem Buggy und vier kleinen Kindern den Weg versperrte. Da das Ende des Laufbands in Sicht war, wartete er und überholte die Familie, bevor er den nächsten Abschnitt betrat.
Auf einem Podest rechts von ihm stand ein dunkelroter Audi TT – ein neueres Modell als Cleos –, umgeben von großen Schildern. Er konnte sie nicht lesen,
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