Und morgen bist Du tot
wie ein Toter im Sessel neben Caitlins Bett.
Im Fernsehen liefen die Neun-Uhr-Nachrichten, doch das interessierte sie nicht. Auch nicht die Sendung über Rettungen per Hubschrauber, die darauf folgte. Sie interessierte sich im Augenblick nur für den bevorstehenden Anruf von Marlene Hartmann.
Ruf an. O Gott, bitte, ruf doch an.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wenn sich die Deutsche nicht bei ihr meldete. Wenn sie sie einfach nur um das Geld betrogen hatte. Es gab keinen Plan B.
Plötzlich klingelte das Telefon.
Sie meldete sich sofort.
Zu ihrer Erleichterung war es tatsächlich Marlene Hartmann. »Wie geht es Ihnen, Lynn?«
»Gut«, keuchte sie.
»Alles in Ordnung. Wir sind hier. Sind Sie bereit zum Abholen?«
»Ja, natürlich.«
»Das mit der Zahlung ist geregelt? Haben Sie die Summe?«
»Ja.« Sie schluckte.
Der Sachbearbeiter in der Bank hatte schon bei der ersten Überweisung nachgefragt, und sie hatte eine lahme Erklärung vorgebracht, nach der sie aus Investitionsgründen eine Immobilie in Deutschland kaufen wollte. Ihr Exmann habe geerbt und ihr im Rahmen der Scheidung eine pauschale Abfindung gezahlt.
»Wir sehen uns später. Der Wagen kommt wie vereinbart.«
Sie hängte ein, bevor Lynn sich bedanken konnte.
Der Wagen sollte um zwölf kommen. Also in weniger als drei Stunden.
Sie war so aufgedreht durch Stress, Angst und Aufregung, dass sie kaum klar denken konnte.
103
KURZ NACH der Morgenbesprechung saß Roy Grace in der SOKO-Zentrale 1 und telefonierte mit einem der beiden Ermittler, die das Haus von Sir Roger Sirius observierten. Sie waren seit kurz vor Mitternacht vor Ort und berichteten, dass niemand das Haus verlassen habe. Auch der Hubschrauber befinde sich noch auf dem Gelände. Grace war gereizt. Während er telefonierte, klingelte ein anderes Telefon ohne Ende. Er legte die Hand über den Hörer und brüllte, jemand solle rangehen. Was prompt geschah.
Sämtliche Minister waren am Vorabend entweder im Ausland unterwegs oder beim Abendessen gewesen. Erst nach Mitternacht hatten sie den Innenminister persönlich erreicht, der die Erlaubnis für die Telefonüberwachung unterzeichnet hatte. Nach zwei waren sie mit der Einrichtung fertig und konnten den Festnetzanschluss und das Handy von Lynn Beckett abhören.
Grace hatte drei Stunden bei Cleo geschlafen und um sechs Uhr wieder am Schreibtisch gesessen. Er lebte nur noch von Red Bull, einigen Guarana-Tabletten, die Cleo ihm gegeben hatte, und Kaffee. Es gefiel ihm gar nicht, dass der Transplantationschirurg im Augenblick die einzige handfeste Spur war. Dabei wussten sie noch immer nicht sicher, ob er wirklich in die Sache verwickelt war oder ihnen Informationen liefern würde.
Außerdem bereitete ihm Vlad Cosmescus Verschwinden Kopfzerbrechen. Hatte es mit seinem Besuch bei der deutschen Organhändlerin zu tun? Hatte Marlene Hartmann ihn gewarnt? War er in Panik geraten und hatte sie dazu gebracht, alle Pläne fallenzulassen und den Rückzug anzutreten? Bislang hatten die Warnmeldungen an die Häfen und Flughäfen nichts erbracht.
In Großbritannien würde man das Problem der Überwachung niemals ganz lösen. Es gab einfach zu viele offene Küsten und private Flugplätze. Manchmal hatte man Glück, aber es fehlte an finanziellen Mitteln, um alle Personen zu überprüfen, die ins Land einreisten. Die Tatsache, dass das Innenministerium den Sparbemühungen der Regierung nur allzu bereitwillig entgegengekommen war und die Passkontrollen bei der Ausreise gestrichen hatte, war auch nicht gerade hilfreich. Kurzum, falls Personen nicht eindeutig identifiziert wurden, hatten die britischen Behörden keine Beweise dafür, wer sich im Land befand und wer nicht.
Die Autopsie von Jim Towers’ Leiche lief gerade, und Grace wollte unbedingt ins Leichenschauhaus, um zu sehen, ob der Pathologe diesen Todesfall mit der Operation Neptun in Verbindung bringen konnte. Natürlich wollte er auch hin, um Cleo zu treffen, die noch geschlafen hatte, als er das Haus verließ.
Als er aufstand, die Jacke überzog und sich bei seinen Kollegen abmeldete, klingelte erneut ein Telefon. Wieder meldete sich niemand. Waren die Leute denn alle taub? Oder einfach zu erschöpft nach einer langen Nacht?
Als er an der Tür war, verstummte das Klingeln. Lizzie Mantle rief ihn zurück, den Hörer in der Hand.
»Für dich, Roy!«
Es war David Hicks, der für die Überwachung der Telefonleitungen zuständig war.
»Sir, wir haben soeben einen Anruf an Mrs Becketts
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