Und morgen bist Du tot
entdeckte Simona ein riesiges graues Haus, vor dem blank polierte Autos parkten. Jetzt wurde sie doch aufgeregt. Das sah wunderschön aus! Würde sie hier arbeiten?
Sie wollte die Deutsche danach fragen, doch die telefonierte schon wieder und klang sehr aufgebracht.
Der Lieferwagen fuhr unter einem Torbogen hindurch und hielt hinter dem Haus. Der Fahrer schaltete den Motor aus, während die Frau ihre Diskussion am Telefon fortsetzte und immer lauter und aufgebrachter wurde.
Kurz darauf öffnete der Fahrer eine der Hintertüren und ergriff Simonas Hand, als sie herauskletterte. Zu ihrer Verwunderung hielt er sie weiterhin fest, obwohl sie versuchte, sich von ihm zu lösen. Er schien zu glauben, sie wolle weglaufen.
Simona zog fest und spürte, wie Ärger in ihr aufstieg, doch sein Griff war wie Eisen und seine Miene völlig ausdruckslos.
Die deutsche Frau stieg nun auch aus und klappte ihr Handy zu. Simona fing ihren Blick auf. Normalerweise lächelte die Frau, doch jetzt war ihre Miene kalt, und sie schaute, als wäre Simona gar nicht da.
Sie muss ganz schön wütend über den Anruf sein, dachte Simona.
Aus dem Haus kam eine Krankenschwester, eine große, muskulös wirkende Frau mit kurzem Hals und Armen wie Schinken. Ihr ergrautes Haar war kurz geschnitten wie das eines Mannes und mit Gel zu Stacheln frisiert. Einen Moment lang betrachtete sie das Mädchen, als wäre es in einem Schaufenster ausgestellt. Dann verzog sich ihr Mund, der viel zu klein für das fleischige Gesicht war, zu einem schwachen Lächeln.
»Simona, du kommst mit mir«, sagte sie steif auf Rumänisch.
Sie ergriff Simonas Hand. Endlich ließ der Fahrer sie los. Die Krankenschwester zog sie so heftig mit sich, dass sie stolperte. Dabei fiel Gogu zu Boden und blieb liegen, während man sie ins Haus zerrte.
»Gogu!«, rief Simona und drehte sich verzweifelt nach hinten. »Gogu!« Sie wollte sich losreißen. »Gogu!«
Doch Marlene Hartmann folgte ihr rasch und schlug die Tür hinter ihnen zu.
Draußen sah Vlad Cosmescu den verschlissenen Pelz auf dem Boden liegen. Er bückte sich, hob ihn auf und trug das schmutzige Ding zwischen zwei Fingerspitzen zur nächsten Mülltonne.
Er parkte den Wagen in einer Garage und schloss das Tor. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.
106
LYNN SASS AM KÜCHENTISCH und rang um Fassung. Sie starrte auf das Foto des hübschen, wenn auch schmuddeligen Mädchens, das vor ihr lag.
Panikmache, dachte sie. Bitte, lieber Gott, lass es nur Panikmache sein.
Marlene Hartmann war eine anständige Frau. Sie konnte keine Sekunde lang glauben, was der Detective Superintendent da erzählte. Unmöglich. Unmöglich. Unmöglich.
Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie sie auf ihren Schoß legte. Sie eng aneinanderdrückte, versteckte. Unmöglich!
Sie musste das irgendwie durchstehen. Diese Leute aus dem Haus schaffen, damit sie die Deutsche anrufen konnte. Der Kloß in ihrer Kehle hinderte sie am Sprechen. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, wie man es ihr bei der Arbeit beigebracht hatte, wenn sie es mit schwierigen oder unflätigen Klienten zu tun hatte.
»Es tut mir leid«, sagte sie und schaute die Polizeibeamten nacheinander an. »Ich verstehe nicht, weshalb Sie hier sind oder was Sie von mir wollen. Meine Tochter befindet sich auf der Transplantationsliste des Royal South London Hospital. Wir sind sehr zufrieden mit der Arbeit, die dort geleistet wird. Und wir rechnen fest damit, dass sie sehr bald eine neue Leber erhält. Für mich besteht überhaupt kein Grund, mich woanders umzusehen.« Sie schluckte. »Außerdem – ich wüsste gar nicht – ich meine, wo ich suchen sollte.«
Roy Grace schaute sie eindringlich an. »Mrs Beckett, Menschenhandel ist eines der abscheulichsten Verbrechen in unserem Land. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, wie ernst Polizei und Justiz derartige Aktivitäten nehmen. In London wurde kürzlich ein Mann wegen Menschenhandels zu dreiundzwanzig Jahren Haft verurteilt.«
Er gab ihr Zeit, das zu verdauen. Lynn war, als müsste sie sich übergeben.
»Menschenhandel beinhaltet eine ganze Reihe schwerer Verbrechen: illegale Einwanderung, Entführung, Freiheitsberaubung, und das ist nur der Anfang. Verstehen Sie mich? Wer in diesem Land den Versuch unternimmt, hier oder im Ausland ein menschliches Organ zu kaufen, kann der Verschwörung zum Menschenhandel beschuldigt werden oder als Komplize angeklagt werden. Darauf stehen die gleichen Strafen wie auf den eigentlichen
Weitere Kostenlose Bücher