Und morgen bist Du tot
einzige Grund, warum ich morgens aufstehe. Warum ich zur Arbeit gehe. Du bist mein Leben. Wusstest du das?«
»Du solltest öfter ausgehen.«
Lynn grinste und küsste sie auf die Wange. »Dabei bist du so gemein zu mir.«
»Klar. Und du so verdammt besitzergreifend!« Caitlin grinste ebenfalls.
Lynn schob sie behutsam weg und hielt sie auf Armeslänge von sich.
»Weißt du auch, warum ich so besitzergreifend bin?«
»Weil ich schön, clever und intelligent bin und die Welt mir zu Füßen läge, wenn da nicht dieses kleine Problem wäre. Gott hat mir leider die falsche Leber verpasst.«
Lynn brach in Tränen aus. Freudentränen. Tränen der Trauer. Tränen der Angst. Wieder nahm sie Caitlin fest in die Arme und flüsterte: »Er hat gelogen. Detective Superintendent Grace hat gelogen. Du darfst ihm nicht glauben. Du musst mir glauben. Mein Liebling, du musst mir glauben. Ich bin deine Mutter. Bitte glaube mir.«
Caitlin drückte sie mit aller verbliebenen Kraft. »Na gut, ich glaube dir.«
Dann wandte sie sich abrupt ab und stieß ein würgendes Geräusch hervor. Sie riss sich von ihrer Mutter los und taumelte zum Spülbecken. Lynn konnte sie gerade noch auffangen.
Caitlin erbrach sich heftig.
Zu ihrem namenlosen Entsetzen sah Lynn, dass nicht Erbrochenes im Becken landete und bis an die Fliesen und das Abtropfbrett spritzte. Es war hellrotes Blut.
Während sie ihre stöhnende, würgende Tochter im Arm hielt, begriff sie, dass ihr alles andere egal war. Es war ihr egal, ob dieser Polizist die Wahrheit sagte. Es war ihr egal, ob das Mädchen, dessen Foto er mitgebracht hatte, sterben musste. Es war ihr egal, ob jemand anders sterben musste. Wenn nötig, würde sie das Mädchen mit ihren eigenen Händen töten, um Caitlin zu retten.
109
SIMONA SASS IN EINEM KLEINEN, fensterlosen Raum, in der Hand ein Glas Cola, und weinte. Das Zimmer erinnerte sie an die Gefängniszelle, in der sie und Romeo vor ein paar Jahren die Nacht verbracht hatten, nachdem sie beim Ladendiebstahl erwischt worden waren. Der gleiche Geruch nach Desinfektionsmittel. Hier gab es nichts außer Schränken mit Medikamenten. Sie war so hungrig, dass ihr Magen weh tat.
»Ich will meinen Gogu«, schniefte sie.
Die kräftige rumänische Krankenschwester, die ihren Arm so hart umfasst hatte, dass er immer noch schmerzte, stand mit verschränkten Armen vor der Tür und sah ihr beim Trinken zu.
»Ich habe ihn draußen verloren.«
»Ich hole ihn später.«
Jetzt fühlte Simona sich ein bisschen besser und nickte dankbar. Dann schaute sie von ihrem Glas zu der Frau.
»Könnte ich bitte etwas zu essen haben?« Es war das dritte Mal in einer Viertelstunde, dass sie darum bat. »Irgendetwas.«
»Trink«, befahl die Frau.
Gehorsam trank Simona weiter. Vielleicht würde sie etwas zu essen bekommen, wenn sie das zweite Glas ausgetrunken hatte. Vielleicht würde die Frau dann auch ihren Gogu holen.
»Welche Arbeit soll ich hier machen?«
»Arbeit?«, fragte die Krankenschwester mit gerunzelter Stirn. »Wieso denn Arbeit?«
Simona lächelte verträumt. »Ich würde gerne in einer Bar arbeiten«, erklärte sie. »Ich möchte lernen, wie man Getränke mixt. Sie wissen schon, schicke Getränke. Wie heißen die doch gleich? Cocktails! Das wäre eine schöne Arbeit, die Drinks mischen und mit den Leuten reden. In diesem Hotel gibt es sicher eine tolle Bar, oder?« Als sie das Stirnrunzeln bemerkte, sagte sie rasch: »Natürlich würde ich jede Arbeit machen, ganz egal. Ich könnte auch putzen. Ich putze gern. Ich bin einfach nur froh, hier zu sein. Und wenn Romeo kommt, bin ich noch glücklicher. Meinen Sie, es dauert noch lange?«
»Trink«, erwiderte die Frau.
Simona trank das Glas aus und saß schweigend da, während die Frau noch immer mit verschränkten Armen die Tür bewachte.
Nach einigen Minuten fühlte sich Simona zunehmend schläfrig. Ihr wurde schwindlig, und sie konnte die Frau gar nicht mehr richtig anschauen. Auch die Wände und die Schränke verschwammen vor ihren Augen, bewegten sich schneller und schneller.
Die Krankenschwester sah ungerührt zu, als sich Simonas Augen schlossen, das Mädchen vom Stuhl rutschte und zu Boden fiel. Sie lag ganz still da und atmete schwer.
Sie warf Simona über die Schulter und trug sie durch den Flur in den Vorraum des OPs, wo sie sie auf einen stählernen Rollwagen legte. Dann zog sie Simona komplett aus und durchsuchte gierig ihre Taschen. Manchmal hatte solches Ungeziefer gestohlene Wertsachen
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