Und morgen bist Du tot
und um eine Ansammlung von Betonbausteinen gebunden, die auf dem schmierigen Metalldeck lagen.
»Er ist in dem Sack«, erklärte Grace. »Man hat ihn aufgeschnitten, die Leiche aber nicht angerührt.«
Graham Lewis warf einen Blick durch den langen Schlitz. Roy Grace trat neben ihn, entsetzt und neugierig zugleich.
Der Sanitäter zog Latexhandschuhe über und öffnete den Schlitz, so dass man den beinahe durchscheinenden, grauweißen Körper darin in voller Länge erkennen konnte. Es war ein junger Mann, noch keine zwanzig, schätzte Grace, und er schien noch nicht lange im Wasser gelegen zu haben.
Er nahm einen deutlichen Geruch von Plastik und einen schwächeren Verwesungsgeruch wahr, nicht aber den widerlichen, klebrigen Gestank von fauligem Fleisch, den er mit bereits verwesten Leichen verband. Dieser Mensch war höchstens ein paar Tage tot, dachte er, aber die Autopsie würde den Zeitpunkt hoffentlich genauer eingrenzen.
Der Jugendliche war dünn, was eher auf Unterernährung als übertriebene sportliche Betätigung zurückzuführen war, denn er hatte kaum Muskeln. Grace schätzte ihn auf ca. 1,70 m. Er hatte ein kantiges, unbedarftes Gesicht und kurzes schwarzes Haar, das in einer Spitze in der Stirn auslief.
Der Sanitäter drehte den Kopf zur Seite. »Keine unmittelbaren Anzeichen einer Schädelverletzung«, sagte er.
Grace nickte, war mit Augen und Gedanken aber bei einem völlig anderen Körperteil. Er schaute auf den Bauch. Auf den säuberlich vertikalen Schnitt, der vom Halsansatz über den Bauchnabel reichte und knapp über dem dichten Dreieck des Schamhaars endete. Er war mit einer Naht geschlossen.
Ihre Blicke begegneten sich, dann schaute er wieder hinunter. Auf den Schnitt. Auf den Penis, der beinahe schwarz verfärbt war und schlaff und schrumplig wie eine abgestreifte Schlangenhaut auf dem Schamhaar ruhte. Er musste einfach hinsehen. Die Penisse von Toten wirkten ungeheuer traurig, als wäre das ultimative Symbol der Männlichkeit in seiner Reglosigkeit zum ultimativen Symbol des Todes geworden. Er richtete den Blick wieder auf den Einschnitt.
»Was zum Teufel ist das?«, fragte Graham Lewis. »Es ist keine Vernarbung zu sehen, also wurde der Einschnitt post mortem vorgenommen. Oder kurz vor Eintritt des Todes.«
»Er wirkt sehr sauber«, bemerkte Grace. »Die Arbeit eines Chirurgen?«
Danny Marshall erkundigte sich gerade besorgt bei DI Mantle, wie lange es noch dauern würde, bis man die Leiche von Bord bringen und auf dem Schiff weiterarbeiten könne. Sie hätten bereits über eine Stunde wertvoller Löschzeit verloren. Eine weitere Stunde, und sie würden nicht mehr rechtzeitig löschen können, um die Nachtflut zu erreichen.
Sie antwortete, die Entscheidung liege allein bei Roy Grace.
Zum ersten Mal in seiner Laufbahn konnte Marshall das Verhalten einiger Fischer verstehen, die ihm gestanden hatten, dass sie auch schon Leichen in ihren Netzen gefunden und diese dann aber zurückgeworfen hatten, statt sich der polizeilichen Bürokratie auszusetzen.
»Definitiv. Das ist keine gewöhnliche Verletzung«, sagte Lewis. »Das arme Schwein wurde operiert. Aber …« Er zögerte.
»Aber was?«
»Der Einschnitt sieht aus, als wäre er eindeutig nach dem Tod vorgenommen worden.«
»Haben Sie eine Ahnung, wie lange es noch dauern wird, Detective Superintendent?«, erkundigte sich der Kapitän.
»Das hängt von der Pathologin ab«, erwiderte Grace entschuldigend.
»Wir müssen also warten?«
In diesem Augenblick klingelte Grace’ Handy. »Wenn man vom Teufel spricht.« Es war Nadiuska de Sancha.
»Roy, es tut mir so leid. Man hat mich zu einem Notfall gerufen. Ich weiß nicht, wann ich zu dir kommen kann. Es dauert mindestens noch vier oder fünf Stunden, vielleicht auch länger.«
»Okay, ich rufe zurück«, sagte er.
Der Sanitäter fühlte den Puls des Mannes. Eine reine Formalität.
Grace traf eine Entscheidung. Zum Teil wurde sie durch seinen Wunsch, auf die Party zu gehen, beeinflusst, mehr aber noch durch die Situation als solche. Auf dem Baggerschiff befanden sich acht Mannschaftsmitglieder, und er hatte bereits mit allen gesprochen. Jeder Einzelne bezeugte, dass man die Leiche aus dem Meer geholt hatte. Der Fotograf James Gartrell hatte die erforderlichen Fotos gemacht und sein Material beisammen. Die Leiche lag in der Plastikplane, in der man sie vom Meeresboden geholt hatte, und es war ausgesprochen unwahrscheinlich, dass sich auf dem Schiff selbst forensische Beweise
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