Und morgen bist Du tot
gegeben.
Nats Gesicht, bedeckt mit Blutergüssen und Schnitten, war von einem geisterhaften Weiß, das sie noch nie an ihm gesehen hatte. Er war ein sportlicher Typ, der regelmäßig Squash spielte und trotz des anstrengenden Jobs immer eine gesunde Gesichtsfarbe hatte. Er war stark, groß, mit langen blonden Haaren, für einen Arzt geradezu rebellisch lang. Er sah gut aus. Auffallend gut.
Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die Tränen. So verdammt gutaussehend. Komm schon, Liebling. Komm schon, Nat, alles wird gut. Du wirst das überstehen. Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr. Ich brauche dich. Sie strich über ihren Bauch und fügte hinzu: Wir beide brauchen dich.
Sie öffnete die Augen und las die Werte auf den Monitoren und Digitalanzeigen und suchte nach einem kleinen Zeichen der Hoffnung. Sie fand keins. Sein Puls war schwach und unregelmäßig, der Sauerstoffgehalt des Blutes viel zu niedrig, die Hirnströme kaum messbar. Aber er schlief sicher nur und würde jeden Moment aufwachen.
Sie war seit zehn Uhr morgens im Krankenhaus. Die Polizei hatte sie angerufen. Verrückt, dabei hätte sie heute in genau diesem Krankenhaus einen Termin für eine Ultraschalluntersuchung gehabt. Darum war sie auch noch zu Hause gewesen, als das Telefon klingelte, und nicht bei Harcourt Pharmaceuticals, wo sie in dem Team arbeitete, das die klinischen Studien mit neuen Medikamenten überwachte.
Zum Glück kannte sie sich in dem labyrinthartigen Komplex aus, und viele Leute, die hier arbeiteten, waren keine Fremden für sie. Sie verzichteten auf die üblichen Plattitüden und versuchten nicht, sie für dumm zu halten. Sie konnte umgehend mit dem medizinischen Team sprechen, das ihr unverblümt die schreckliche Wahrheit sagte.
Als sie eine halbe Stunde nach Nat eintraf, nahm man bereits eine CT-Untersuchung des Gehirns vor. Hätte man ein Blutgerinnsel gefunden, wäre er zur Operation in die neurologische Abteilung von Hurstwood Park verlegt worden. Die CT hatte jedoch gezeigt, dass er massive innere Blutungen erlitten hatte und man operativ nichts mehr ausrichten konnte. Sie konnten nur abwarten, doch war mit irreparablen Hirnschäden zu rechnen.
Man hatte ihn vier Stunden lang in der Notaufnahme stabilisiert, und sein Zustand hatte sich in diesem Zeitraum nicht verändert. Er reagierte weiterhin auf keinerlei Reize.
Auf der Glasgow-Koma-Skala lag er bei 3 von möglichen 15 Punkten. Seine Augen reagierten nicht auf Ansprache, Schmerz oder Druck. Das ergab einen Minimalwert von 1. Keine verbale Reaktion auf Fragen, Bemerkungen oder Befehle, ebenfalls 1. Auch reagierte er nicht auf Schmerzen, was zum Wert 1 im Bereich der motorischen Reaktion führte. Das Maximum, das ein Patient erreichen konnte, lag bei 15, das Minimum bei 3.
Susan wusste, was das bedeutete. Ein Gesamtwert von 3 war der bittere und hundertprozentig zuverlässige Beweis, dass Nat hirntot war.
Dennoch geschahen Wunder. In den Jahren, die sie selbst auf dieser Station verbracht hatte, hatte es schon bei Patienten mit einem Wert von 3 eine vollständige Genesung gegeben. Gewiss, es waren sehr, sehr wenige, aber Nat war stark. Er könnte es schaffen.
Er würde es schaffen!
Saleha, die kleine, freundliche malaysische Krankenschwester, die Nat den ganzen Nachmittag lang betreut hatte, lächelte Susan zu. »Sie sollten nach Hause fahren und sich ausruhen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte mit ihm sprechen. Manchmal reagieren die Leute. Das habe ich selbst schon erlebt.«
»Welche Musik hört er denn am liebsten«, erkundigte sich die Krankenschwester.
»Snow Patrol«, antwortete Susan und überlegte. »Und die Eagles.«
»Sie könnten ein paar CDs für ihn holen. Haben Sie einen iPod?«
»Zu Hause.«
»Dann sollten Sie ihn mitbringen. Und auch sein Waschzeug mitbringen, Seife, Waschlappen, Zahnbürste, Rasiersachen und Deo.«
»Ich möchte ihn aber nicht allein lassen«, erwiderte Susan. »Für den Fall …« Sie zuckte die Achseln.
»Er ist stabil«, antwortete Saleha. »Ich kann anrufen, falls Sie schnell herkommen müssen.«
»Er bleibt doch stabil, solange Sie die Maschinen laufen lassen, oder? Aber was passiert, wenn Sie sie abschalten?«
Unbehagliche Stille, da beide Frauen die Antwort kannten. Die Schwester brach das Schweigen und sagte fröhlich: »Wir müssen eben darauf hoffen, dass sich sein Zustand über Nacht verbessert.«
»Ja«, sagte Susan mit erstickter Stimme. Sie kämpfte gegen die Tränen.
Dann schaute sie Nat an.
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