Und morgen bist Du tot
Branson, der vor kurzem die Prüfung für Verfolgungsjagden bestanden hatte und Roy seine Fähigkeiten bei jeder Gelegenheit demonstrierte.
Warum fuhr Cleo nur so rücksichtslos Auto, während sie bei allem anderen, was sie tat, so sorgfältig vorging? Eigentlich müsste jemand, der im Leichenschauhaus tagtäglich mit den zerfetzten Körpern von Verkehrsopfern zu tun hatte, besonders vorsichtig fahren. Und doch startete einer der Gerichtsmediziner, Dr. Nigel Churchman, der kürzlich in den Norden versetzt worden war, am Wochenende bei Autorennen. Vielleicht, dachte Grace bisweilen, wollte man den Tod gerade dann herausfordern, wenn er einem ständig begegnete.
Die Ampel sprang um. Er vergewisserte sich, dass ihm keine zweite Cleo entgegenkam, und überquerte die Kreuzung. Er beschleunigte, erinnerte sich aber daran, dass es auf diesem Abschnitt zwei Kameras gab. Cleo bestritt, dass sie zu schnell fuhr, es schien ihr überhaupt nicht bewusst zu sein. Das machte ihm Angst. Er liebte sie so sehr und seit heute Abend noch viel mehr. Der Gedanke, ihr könne etwas zustoßen, war unerträglich.
Nachdem Sandy verschwunden war, hatte er fast zehn Jahre lang keine feste Beziehung zu einer Frau gehabt. Bis Cleo kam. Vorher hatte er ständig nach Sandy gesucht, auf Nachrichten gewartet, auf einen Anruf gehofft oder dass sie eines Tages zur Tür hereinkommen würde. Nun aber liebte er Cleo ebenso, wie er Sandy geliebt hatte, vielleicht sogar noch mehr. Selbst wenn sie wieder auftauchen und eine überzeugende Erklärung für ihre Abwesenheit vorbringen sollte, würde er Cleo vermutlich nicht verlassen. Sein Geist und sein Herz waren weitergezogen.
Und nun die unglaublichste Sache von allen. Cleo war schwanger! In der sechsten Woche. Heute Morgen hatte sie die Bestätigung erhalten. Sie trug sein Kind in sich. Ihr gemeinsames Kind.
Eigentlich ironisch, dachte er. Bevor Sandy verschwand, hatte sie vergeblich versucht, schwanger zu werden. In den ersten Jahren hatten sie sich noch keine Sorgen deswegen gemacht, sie wollten abwarten, bevor sie eine Familie gründeten. Doch als sie es ernsthaft versucht hatten, war nichts geschehen. Im Jahr vor ihrem Verschwinden hatten sie beide ihre Fruchtbarkeit untersuchen lassen. Das Problem lag, wie sich herausstellte, bei Sandy. Die Ursache war biochemischer Natur und hatte etwas mit der Elastizität des Schleims in ihren Eileitern zu tun. Roy hatte sich nach Kräften bemüht, die Erklärung des Arztes zu verstehen.
Der Gynäkologe hatte Sandy Medikamente verschrieben, aber darauf hingewiesen, dass die Erfolgsquote bei unter fünfzig Prozent lag. Das hatte sie sehr deprimiert, sie kam sich unzulänglich vor. Sandy war ein Mensch gewesen, der gern die Kontrolle behielt. Das war vermutlich einer der Gründe, warum auch sie gern schnell gefahren war. Sie wollte die Straße kontrollieren. Sie war es auch gewesen, die das Haus im minimalistischen Zen-Stil eingerichtet, den Garten gestaltet und jeden Urlaub organisiert hatte. Manchmal fragte er sich, ob sie wegen dieses Problems niedergeschlagener gewesen war, als er angenommen hatte, und ob dies womöglich der Grund für ihr Verschwinden gewesen war.
Es gab so viele unbeantwortete Fragen.
Nun aber hatte sich die Leere in seinem Leben gefüllt. Cleo hatte ihm ein Glück geschenkt, das er für unmöglich gehalten hatte. Und dazu noch diese wirklich unglaubliche Neuigkeit!
Er konnte ihren Wagen vor sich sehen. Diesmal stand er an der Ampel der Kreuzung Shirley Drive, wo sich eine Kamera befand.
Bitte, Liebling, fahr nicht ganz so irre! Du willst dich doch nicht totfahren, wo wir uns gerade gefunden haben. Nun, wo das Leben erst richtig anfängt.
Er folgte Cleo am Bahnhof vorbei und durch die engen Straßen von North Laine. Es war eine Gegend mit Reihenhäusern, kleinen Läden, Cafés, Restaurants und Antiquitätengeschäften. Schließlich fand sie einen Anwohnerparkplatz in der Nähe ihres Hauses. Er stellte seinen Wagen ins Parkverbot und stieg aus, wobei er sich argwöhnisch umschaute. Auf einmal war sein Beschützerinstinkt ganz stark.
Er holte Cleo am Tor des umgebauten Lagerhauses ein und legte ihr den Arm um die Schulter, als sie gerade den Zahlencode für die Haustür eingab.
Sie trug ein langes schwarzes Cape über ihrem Kleid. Er schob die Hand darunter und legte sie flach auf ihren Bauch.
»Das ist unglaublich«, sagte er.
Sie schaute ihn aus großen, vertrauensvollen Augen an. »Bist du wirklich damit einverstanden?«
Er zog
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