Und morgen bist Du tot
war vollkommen ausdruckslos. »Das wäre dann Plan B, oder?«
»Und was genau meinst du damit?«, fragte Shirley Linsell behutsam.
»Plan B heißt, dass ich sterbe. Ich persönlich finde Plan B allerdings ziemlich beschissen.«
30
NACH DER AUTOPSIE fuhr Roy Grace wieder in die Zentrale. Er verbrachte die gesamte Fahrt damit, auf der Freisprechanlage mit Christine Morgan, der für Organspenden zuständigen Krankenschwester im Royal Sussex County Hospital, zu telefonieren. Er wollte so viel wie möglich über die Transplantation menschlicher Organe erfahren, vor allem über die Zuteilung und die Spendenverfahren.
Er beendete das Gespräch, als er auf den Parkplatz bog und um eine Absperrung für Besucher herumkurven musste. Dann stellte er den Wagen auf seinem persönlichen Parkplatz ab, schaltete den Motor aus und blieb in Gedanken versunken hinter dem Steuer sitzen. Wer mochte der tote junge Mann sein, was war mit ihm geschehen? Der Regen prasselte auf Dach und Windschutzscheibe, bis die weiße Mauer vor ihm zu einem schimmernden Mosaik verschwamm.
Die Rechtsmedizinerin war davon überzeugt, dass die Organe von einem Chirurgen fachmännisch entnommen worden waren. Das Herz, die Lunge, Nieren und Leber waren nicht mehr vorhanden. Aus ihrer Erfahrung mit Organspendern konnte Cleo bestätigen, dass die Familien der Spender oft ihre Einwilligung für diese Organe gaben, nicht aber für Augen und Haut.
Was jedoch so gar nicht ins Bild passte, war die Tatsache, dass der unbekannte Tote nur Stunden vor seinem Tod noch eine Mahlzeit zu sich genommen hatte. Höchstens sechs Stunden vorher, wie Nadiuska befunden hatte. Christine Morgan hatte ihm soeben erklärt, dass dieser kurze Zeitraum selbst bei einem sehr plötzlichen Tod eines Spenders, der sich im nationalen Register befand und einen Spenderausweis bei sich trug, extrem unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich war. Die Angehörigen mussten entsprechende Papiere unterzeichnen, in den Datenbanken mussten passende Empfänger gefunden werden. Aus den verschiedenen Krankenhäusern, in denen die Empfänger behandelt wurden, mussten chirurgische Teams entsandt werden. Normalerweise blieb der Körper, selbst wenn der Hirntod eingetreten war, an die lebenserhaltenden Geräte angeschlossen, damit die Organe mit Blut, Sauerstoff und anderen Nährstoffen versorgt wurden. Es dauerte Stunden, manchmal sogar Tage, bis sie entnommen wurden.
Das Timing sei nicht absolut unmöglich, sagte sie zu Grace, aber sie selbst habe nie eine derartige Situation erlebt. Der junge Mann sei definitiv nicht in ihrem Krankenhaus gewesen.
Grace nahm sein blaues Notizbuch vom Beifahrersitz, legte es auf das Lenkrad und notierte ÖSTERREICH? SPANIEN? LÄNDER MIT ANDEREN VEREINBARUNGEN? Beide Länder grenzten nicht an den Ärmelkanal. War es wirklich denkbar, dass es sich bei dem unbekannten Toten um einen österreichischen oder spanischen Organspender handelte, den man auf See bestattet hatte? Österreich hatte keine eigenen Küsten. Und falls er aus Spanien stammte, hätte er innerhalb weniger Tage über hundert Seemeilen weit treiben müssen.
Das war so unwahrscheinlich, dass man die Theorie zu diesem Zeitpunkt getrost ausschließen konnte.
Auf einmal meldete sich bei ihm der Hunger, und er schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Viertel nach zwei. Normalerweise hatte er nach einer Autopsie niemals solchen Appetit, doch es war lange her, seit er am frühen Morgen die Schale Porridge gegessen hatte.
Er schlug den Kragen des Regenmantels hoch, sprintete über die Straße, kletterte über eine kleine Mauer, lief einen schlammigen Weg entlang und tauchte durch ein Loch in der Hecke. Das war die übliche Abkürzung zum ASDA-Supermarkt, der inoffiziellen Kantine von Sussex House.
Zehn Minuten später saß er an seinem Schreibtisch und wickelte ein widerlich gesund aussehendes Sandwich mit Lachs und Gurke aus. Vor einer Weile hatte Cleo ihn ausgequetscht, was er denn so esse, wenn sie nicht zusammen seien. Während der Arbeit ernährte er sich hauptsächlich von Junkfood und hatte in den vergangenen neun Jahren mehr oder weniger von Fertiggerichten aus der Mikrowelle existiert.
Immerhin könnte er ihr heute Abend ins Gesicht sehen und sagen, er habe ein Sandwich aus dem Fitness-Regal gegessen. Die Cola, das Kitkat und den Karamell-Donut würde er geflissentlich verschweigen.
Im Büro ging er rasch die Post durch, die ihm seine Managementassistentin Eleanor auf den Schreibtisch gelegt
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