Und morgen in das kühle Grab
wunderschön geschnittene, beigefarbene
Hose und eine pastellfarben bedruckte Bluse. Ihr blondes
Haar hatte sie straff nach hinten gekämmt. Ihr Make-up
war unaufdringlich, aber kunstvoll aufgetragen. Die
Verbände an ihren Händen waren durch große Gazestücke
ersetzt worden, die mit Heftpflaster an ihren Handflächen
befestigt waren. Sie trug durchsichtige Hausschuhe, und
ich konnte die Schutzkissen für die Brandwunden an ihren
Füßen sehen.
Etwas widerwillig küsste ich sie auf die Wange.
Wallingford begrüßte mich reichlich frostig, doch die
beiden Anwälte, seriös aussehende und konservativ
gekleidete Männer, waren von ausgesuchter Höflichkeit,
als ich mich vorstellte.
»Carley«, sagte Lynn entschuldigend, »wir gehen gerade
noch einmal die Erklärung durch, die wir für die Medien
vorbereiten. Es wird nicht lange dauern. Wir werden ganz
bestimmt sehr viele Anrufe bekommen.«
Charles Wallingford und ich sahen uns kurz an. Ich
erriet, was er dachte. Was hatte ich hier zu suchen – sollte
ich ihnen dabei zuschauen, wie sie eine Erklärung für die
Medien verfassten? Schließlich gehörte ich zu den
Medien. »Lynn«, protestierte ich, »ich bin hier im
Moment fehl am Platz. Ich werde ein andermal kommen.«
»Carley, ich möchte, dass du dableibst.« Einen kurzen
Moment lang war von Lynns kühler Selbstbeherrschung
nicht mehr viel zu spüren. »Was auch immer schief
gelaufen ist und womit Nick nicht fertig geworden ist –
am Anfang, dessen bin ich mir ganz sicher, hat er
jedenfalls an den Impfstoff geglaubt, und er hat auch
geglaubt, er würde den Leuten dazu verhelfen, Teil einer
geschäftlichen Erfolgsstory zu werden. Ich möchte, dass
die Leute einsehen, dass ich nicht in irgendwelche
betrügerischen Absichten eingeweiht war. Aber ich
möchte auch, dass die Leute einsehen, dass Nick,
zumindest am Anfang, es nicht darauf abgesehen hatte, sie
zu betrügen. Glaub mir, es geht nicht darum, gute PRArbeit zu machen.«
Ich fühlte mich noch immer nicht ganz wohl in meiner
Haut, setzte mich widerwillig in einen Sessel in der Nähe
des Fensters und ließ meine Blicke durch den Raum
schweifen. Die Wände waren in einem sonnigen Gelb
gehalten, die Decke und der Stuck waren weiß gestrichen.
Die beiden Sofas waren mit einem gelb, grün und weiß
gemusterten Stoff bezogen. Links und rechts vom offenen
Kamin standen Stühle mit dazu passenden, bestickten
Bezügen. Der hohe englische Sekretär und die
Beistelltischchen waren antike, auf Hochglanz polierte
Stücke. Die Fenster zur Linken boten Aussicht auf den
Central Park. Es war ein warmer Tag, die Bäume
begannen gerade zu blühen. Der Park war voller Leute, die
spazieren gingen oder joggten oder einfach auf den
Bänken saßen und den Tag genossen.
Mir fiel auf, dass die Raumausstattung darauf abzielte,
so viel wie möglich von der Stimmung draußen nach
drinnen zu holen. Die Wohnung wirkte lebendig und
frühlingshaft und irgendwie weniger streng, als ich es bei
Lynn erwartet hatte. Im Grunde genommen war die
Wohnung überhaupt nicht so, wie ich sie mir vorgestellt
hatte, sie war zwar großzügig geschnitten, sah aber eher
nach einem komfortablen Heim für eine Familie aus als
nach einem repräsentativen Domizil für einen Firmenchef.
Dann entsann ich mich, dass Lynn gesagt hatte, die
Wohnung sei von Nick und seiner ersten Frau gekauft
worden, sie selber hätte sie am liebsten verkauft und wäre
umgezogen. Lynn und Nick waren erst seit vier Jahren
verheiratet. Wäre es denkbar, dass Lynn sie nicht nach
ihrem eigenen Geschmack neu hatte einrichten lassen,
weil dies gar nicht der Ort war, an dem sie auf Dauer
bleiben wollte? Jede Wette, dass dem so war.
Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Ich bemerkte,
wie das Dienstmädchen am Wohnzimmer vorbeilief, um
zu öffnen. Lynn hatte überhaupt nichts gehört. Sie und
Charles Wallingford waren intensiv damit beschäftigt,
Texte zu vergleichen. Schließlich las Lynn die Erklärung
laut vor:
»Nach allem, was wir wissen, scheint der Stofffetzen,
der an diesem Morgen zwei Meilen vor Puerto Rico
gefunden wurde, von dem Hemd zu stammen, das mein
Mann getragen hat, als er mit dem Flugzeug verunglückte.
In den letzten drei Wochen habe ich mich an die Hoffnung
geklammert, dass er den Absturz allem Anschein zum
Trotz überlebt haben könnte und zurückkehren würde, um
die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu entkräften.
Er war leidenschaftlich
Weitere Kostenlose Bücher