Und morgen in das kühle Grab
ihn gesehen haben, anders konnte es sich gar nicht
abgespielt haben, sagte sich Ned. Peg wollte noch ihren
Bus erwischen. Sie hatte ihn schnell abgefertigt. »Sicher,
ich stand noch da«, antwortete er. »Dieser Typ ist nur ‘ne
Minute oder so nach mir aus dem Laden gekommen. Ich
bin in meinen Wagen gestiegen, habe den Motor
angelassen, habe den Radiosender gewechselt, um die
Zehn-Uhr-Nachrichten zu hören, und dann bin ich
losgefahren.«
»Wo ist Garret hingegangen, Ned?«
»Keine Ahnung. Was geht mich das an, wo er
hingegangen ist? Ich bin aus der Parkbucht raus, habe
gewendet und bin nach Hause gefahren. Vielleicht wollt
ihr mich verhaften, weil ich unerlaubt gewendet habe,
wie?«
»Wenn wenig Verkehr ist, mache ich das gelegentlich
auch«, sagte Carson.
Aha, jetzt kommt also die kumpelhafte Tour, dachte
Ned. Sie versuchen, mich reinzulegen. Er blickte Carson
an und schwieg.
»Ned, besitzen Sie eine Waffe?«
»Nein.«
»Haben Sie schon mal mit einer Waffe geschossen?«
Sei vorsichtig, warnte Ned sich selbst. »Als Kind, mit
einem Luftgewehr.« Er könnte wetten, dass sie das schon
rausgekriegt hatten.
»Sind Sie schon mal verhaftet worden, Ned?«
Gib’s zu, sagte er sich. »Einmal. Es war ein dummes
Missverständnis.«
»Und waren Sie eine Zeit lang in Haft?«
Er hatte im Bezirksgefängnis gesessen, bis Annie die
Kaution zusammengekratzt hatte. Dort hatte er gelernt,
wie man E-Mails verschickt, die nicht zurückverfolgt
werden können. Der Kerl in der Nachbarzelle hatte gesagt,
man müsse nur in eine Bücherei gehen, einen von deren
Computern benutzen, ins Internet gehen und »Hotmail«
eintippen. »Das ist ein Gratisservice, Ned«, hatte der Typ
ihm erklärt. »Du kannst irgendeinen Namen eingeben,
denen ist das egal. Wenn jemand sauer reagiert, dann lässt
sich nur zurückverfolgen, dass die Nachricht aus der
Bücherei kam, aber auf dich können sie nicht stoßen.«
»Ich war nur über Nacht in der Zelle«, sagte er mürrisch.
»Ned, wie ich sehe, sind Ihre Stiefel da ziemlich
schlammverschmiert. Sind Sie vielleicht an jenem Abend
im County Park gewesen, nachdem Sie im Drugstore
waren?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, ich bin gleich nach Hause
gefahren.« Der County Park war der Ort, an dem er Peg
abgeknallt hatte.
Carson starrte erneut auf seine Stiefel.
Ich bin im Park gar nicht aus dem Wagen gestiegen,
dachte Ned. Ich habe Peg gesagt, sie solle aussteigen und
nach Hause laufen, und dann, als sie losgerannt ist, habe
ich geschossen. Sie haben überhaupt keinen Grund, von
meinen Stiefeln anzufangen. Ich habe keine Fußspuren im
Park hinterlassen.
»Ned, was dagegen, wenn wir mal einen Blick auf Ihren
Van werfen?«, fragte Pierce, der große Detective.
Sie hatten nichts gegen ihn in der Hand. »Ja, da hab ich
was dagegen«, sagte Ned scharf. »Eine ganze Menge
sogar. Ich fahr zum Drugstore, um mir was zu besorgen.
Dann stößt einer sehr netten Lady, die das große Pech
hatte, ihren Bus zu verpassen, etwas zu, und jetzt wollen
Sie mir anhängen, dass ich es war, der ihr was angetan hat.
Machen Sie, dass Sie rauskommen.«
Er merkte, wie sie beide erstarrten. Er hatte zu viel
gesagt. Woher sollte er wissen, dass sie den Bus verpasst
hatte? Das war es, woran sie dachten.
Er ließ es darauf ankommen. Hatte er es gehört oder
hatte er es geträumt? »Im Radio hat es geheißen, sie hätte
ihren Bus verpasst. Stimmt doch, oder? Jemand hat
gesehen, wie sie dem Bus hinterherrannte. Ich hab also
was dagegen, dass Sie sich meinen Van anschauen, und
ich hab auch was dagegen, dass Sie hierher kommen und
mir all diese Fragen stellen. Machen Sie, dass Sie
rauskommen. Hören Sie? Hauen Sie ab und lassen Sie sich
nie mehr blicken!«
Er wollte sich noch zurückhalten, aber es war schon zu
spät: Er hatte mit den Händen herumgefuchtelt und seine
Faust vor ihnen geschüttelt. Der Verband an seiner Hand
hatte sich gelöst, die Blasen und die Schwellung waren zu
sehen.
»Wie lautet der Name des Arztes, der Ihre Hand
behandelt hat, Ned?«, fragte Carson ruhig.
33
WENN ICH EINE NACHT wirklich gut geschlafen habe,
dann wachen gewissermaßen alle Teile meines Gehirns
gleichzeitig auf. Es passiert nicht allzu oft, aber an diesem
1. Mai fühlte ich mich munter und hellwach, was sich im
Verlauf des Tages als Glücksfall herausstellen sollte.
Ich ging unter die Dusche und zog anschließend meinen
leichten grauen Nadelstreifenanzug an, den ich am Ende
der letzten Saison
Weitere Kostenlose Bücher