Und morgen in das kühle Grab
in die Schweiz ginge, dann hätte ich das nicht
gutgeheißen, aber ich hätte dafür vollstes Verständnis
gehabt.«
Ich sah, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. »Carley,
wie gerne würde ich auch jetzt noch eine solche Nachricht
empfangen, aber ich weiß, dass das nicht geschehen wird.
Wo auch immer Vivian sich befindet – und ich bete zu
Gott, dass sie noch am Leben ist –, sie ist nicht imstande,
Verbindung mit uns aufzunehmen, sonst hätte sie es schon
getan.«
Ich wusste, dass er Recht hatte. Während unser Kaffee
kalt wurde, berichtete ich von meinem Treffen mit Vivian,
bei dem sie mir erzählt hatte, dass sie bei ihren Eltern
wohnen wolle, bis sie eine Wohnung gefunden hätte. Ich
berichtete auch von dem Anruf, bei dem sie gesagt hatte,
sie könne jetzt den Mann identifizieren, der Dr. Spencers
Aufzeichnungen gestohlen hätte.
»Und kurz danach ist sie spurlos verschwunden«, sagte
er.
Ich nickte.
Wir hatten beide die Hälfte unserer Plunderteilchen
liegen lassen und starrten ins Leere. In Gedanken waren
wir bei der schönen jungen Frau, die sich in ihrem eigenen
Haus nicht mehr hatte sicher fühlen können.
Dieser Gedanke brachte mich auf eine Idee. »Das Wetter
war in letzter Zeit immer sehr windig. Hat Vivian ein
Problem mit ihrer Haustür gehabt?«
»Warum fragen Sie das?«
»Weil die Tatsache, dass die Haustür offen stand, fast
wie eine Einladung an einen zufällig vorbeikommenden
Nachbarn wirkt, einmal zu klingeln und nachzuschauen,
ob alles in Ordnung ist. Und so ist es ja auch tatsächlich
gewesen. Ich dachte gerade an die Möglichkeit, dass die
Tür vom Wind aufgerissen wurde, weil der Riegel nicht
vorgeschoben war. Wäre das nicht passiert, dann wäre
Vivians Verschwinden vielleicht den ganzen Tag oder
noch länger unbemerkt geblieben.«
Ich sah Vivian vor mir, wie sie in der Haustür stand und
mir nachschaute.
»Sie könnten Recht haben. Ich weiß, dass man ihre
Haustür fest zuziehen musste, bevor das Schloss
einschnappte«, sagte Allan Desmond.
»Nehmen wir einmal an, dass die Tür vom Wind
aufgerissen und nicht offen gelassen wurde«, sagte ich.
»Waren die umgestürzte Lampe und der Tisch dann
vielleicht ein Versuch, das Ganze wie einen Einbruch mit
Entführung aussehen zu lassen?«
»Die Polizei glaubt, dass sie selbst den Eindruck
erwecken wollte, Opfer eines Überfalls geworden zu sein.
Vivian hat Sie am Samstagnachmittag angerufen, Miss
DeCarlo. Wie klang ihre Stimme?«
»Sehr aufgeregt«, sagte ich. »Besorgt.«
Ich spürte ihre Anwesenheit noch bevor ich sie kommen
sah. Einer der ernst dreinblickenden Männer war Detective
Shapiro. Der andere war ein Polizist in Uniform. Sie
gingen auf unseren Tisch zu. »Mr. Desmond«, sagte
Shapiro. »Wir würden gerne persönlich mit Ihnen
sprechen.«
»Haben Sie sie gefunden?«, fragte Allan Desmond.
»Nein, aber wir haben etwas anderes herausgefunden.
Dorothy Bowes ist eine gute Freundin Ihrer Tochter und
wohnt nur drei Häuser weiter. Sie war im Urlaub. Ihre
Tochter hatte einen Schlüssel zu ihrem Haus. Bowes kam
heute Morgen zurück und stellte fest, dass ihr Auto nicht
mehr in der Garage stand. Hatte Ihre Tochter je psychische
Probleme?«
»Sie hat die Flucht ergriffen, weil sie Angst hatte«, sagte
ich. »Ich bin mir sicher, dass es so war.«
»Aber wo ist sie hingefahren?«, fragte Allan Desmond.
»Was könnte sie so sehr in Angst versetzt haben, dass sie
Hals über Kopf geflohen ist?«
Ich glaubte, die Antwort möglicherweise zu kennen.
Vivian hatte den Verdacht geäußert, dass Nick Spencers
Telefon abgehört worden sei. Ich fragte mich, ob sie,
gleich nachdem sie bei mir angerufen hatte, durch
irgendetwas auf den Gedanken gekommen war, dass ihr
Telefon ebenfalls angezapft wurde. Das würde eine
panikartige Flucht erklären, aber nicht unbedingt, warum
sie ihre Familie nicht verständigt hatte. Und dann war da
noch die Frage, die ihr Vater schon gestellt hatte: Wohin
sollte sie geflohen sein? Und war sie dabei verfolgt
worden?
35
DAS AUFTAUCHEN DER POLIZISTEN hatte unser
Gespräch beendet. Detective Shapiro und Officer Klein
setzten sich ein paar Minuten zu uns an den Tisch, und wir
verständigten uns noch einmal darüber, wie sich die
Ereignisse in der Abfolge abgespielt haben mussten.
Vivian war zum Haus ihrer Freundin gegangen und hatte
deren Auto genommen. Irgendetwas musste sie so in
Panik versetzt haben, dass sie ihr eigenes Haus fluchtartig
verlassen hatte, aber
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